Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Weimar, 12. Februar 1799.
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Geliebtester Jacobi! Da jeder Mensch seine eigne kürzere oder156,10
längere Fermate nach einem Briefe
hat: so hab’ ich mich bisher ge
tröstet.
— Und doch nur halb; ich habe sogar von der Winterkälte,
diesem wahren Nerven-Vampyr, zumal bei fallendem Queksilber,
traurige Ursachen Ihres Schweigens entlehnt. — Vergeben Sie mir
wenigstens meinen Brief, der mir das Hoffen erleichtert; denn
nun —156,15
einen so sonderbaren Chronometer hat das Herz —
datier ich meine
Erwartungen der Antwort erst vom Posttage
an, wo — dieser Brief
anlangt.
Mög’ Ihre Antwort oder der Meskatalog meinen Wunsch er
hören! — So sonderbar es klinge: Sie — und etwan meine Braut
—156,20
sind die einzigen Menschen, die ich noch in
Europa suchen mag; Völker
noch viele, aber keine Individuen mehr sucht am Ende die so
oft
belogne, und endlich der irdischen Schranken kundige
Seele auf,
in welche der Schmerz die Irthümer der unendlichen
Sehnsucht ge
graben. —156,25
Schillers Piccolomini wurden hier als der 1 Theil des Wallen-
steins gegeben. Der herlichen Sprache
darin und vielen ächt poetischen
bowlings-greens fehlen nur die Karaktere, die Entwiklung und
die
Einheit des Interesse. Beide Stücke sind wie die
Zwillingstöchter in
Ungarn an einander gewachsen, aber nur wie jene mit den
Unter-
156,30
leibern, die Oberleiber haben
Köpfe und Herzen separat. Sie können
das Duo-Dram wie eine bayersche Kreuzer Komödie, mit jeder
Szene anfangen; und wie ich höre, wird der 2te Theil mit dem nach
geholten Ende des ersten künftig angehoben. — Auch in diesem
Werk
spricht der himmelstürmende Titanen-Geist der Zeit,
der sich von den
156,35
Nephilims und Faustrechthabern nur darin
unterscheidet, daß er die157,1
geistige Stärke an die Stelle der
körperlichen sezt. Und selber in den
kritischen Moralen
scheint er zu poltern, da sie die Liebe ausschlies-
sen. — —
Vergeben Sie mir, Theuerster, daß ich Ihnen darüber
schreibe,157,5
worüber ich Sie eben hören möchte. —
Geben Sie hier zwei Bluts- und Herzens-Verwandten, dem
Zwillingsgestirn an Ihrem Himmel der Liebe, meinen Grus
der
innigsten Achtung.
Auch an den edeln Voß denk’ ich jezt, dessen Dioskuren-Homer ich
157,10
eben mit Entzücken gelesen.
— Und Du, verehrter Geist, vergis den nicht, der dich so unaus
sprechlich liebt!
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Weimar, 12. Februar 1799. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_210
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Berlin JP. 4 S. 8°. Präsentat: Jean Paul e. d. 23ten Febr. 1799, b. 27ten März. (nicht erhalten) K: Jakobi 12 Febr. J: Jacobi S. 7. 156,10 seine bis 11 Fermate ] sein eignes kürzeres oder längeres Fermate K 17 dieser] aus der dritte H 31 Oberleibern H 33f. nachgeholten] nachtr. H 34 ersten] verb. in Ersten H
Der Brief kreuzte sich mit dem an J. P. IV. Abt., III.1, Nr. 137. 156, 33 f. Zu den Piccolomini waren bei der Erstaufführung noch die beiden ersten Akte von Wallensteins Tod hinzugenommen. 157, 7 f. Jacobi lebte mit zwei unverheirateten Schwestern, Charlotte und Helene, zusammen.