Von Jean Paul an Renate Otto. Weimar, 28. Februar 1800.
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Meine gute Renate weis schon, daß gegen Matthias in der Nähe
296,20
Ihres [!]
Geburtstages jedes Eis aufgeht. Aber dasmal war bei mir
keines angesezt. Da Sie bei der Menge Ihrer Geschäfte gar nicht
schreiben; so werden Sie es gewis entschuldigen, daß ein
anderer bei
einer noch grösseren nur selten schreibt.
Liebe Seele! ich bin oft in Ihrer Stube und höre die lebendige296,25
Paulline und sehe die kleinere Nebenschwester mit ihren
grossen heiligen
Augen. Und gerade da, wo ich Sie sonst nie besuchte, um 1—2
Uhr Nach
mittags erschein’ ich jezt, weil
ich da den Koffer vol Briefe aufmache
und so jeden Tag den
Weg der Vergangenheit zurükmache oder
zurüklese. Da begegnen
wir uns oft, die mondhellen Stunden des296,30
Sonabends
ziehen wieder vorüber und ich fühle wieder, daß wir nicht
geschieden sind — nein, liebe Renate, und wenn wir auch lange
schweigen.
Otto wird Ihnen das edle Wesen nun genant haben, mit dem ich
freudig durch das Leben gehe. Hat er es noch nicht gethan,
so begehren296,35
Sie es in meinem Namen von ihm.
Von unserem Emanuel red’ ich öfter als ich von ihm höre das
heisset
297,1
— lese. Hat er noch Dinte und Feder und Finger? — Doch hat er
sein
Herz; und an dieses immer geliebte bringen Sie meinen
Grus.
Und einen ins unten gegenüberstehende Haus an die Ihrigen; denen
ich noch den schönen Abend danke. Sagen Sie Ihrem H. Vater,
es
297,5
wäre mir weder auf dem höckerigen Vogtländischen Wege
hieher noch
durch alle Begebenheiten das Faktum aus dem Gedächtnis
geschüttelt
worden, daß ich bei ihm einen Karpfen gegessen
und bei ihm so froh
gewesen wie das Fischlein selber, als es
noch in einem für dasselbe
bessern Wasser als der Brühe
schwam.297,10
Antworten Sie mir bald, meine geliebte Renate, und lauern Sie
nicht erst auf meinen Geburtstag. An Ihrem wil ich abends in unserer
Zauber- und Dämmerungsstunde an Sie und an alles, was ich
nie
vergesse, und an Ihre Wünsche denken; und weich und
warm wird
meine Seele die grösten für Sie thun, wie sie es
jezt thut; und wir wollen297,15
immer sagen und denken: wir
verändern uns nicht!
Gute Nacht, Liebe, Gute und grüsse deinen Christoph! —
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Renate Otto. Weimar, 28. Februar 1800. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_406
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Zentralbibliothek Zürich, Autogr Bebler D 354.2; ehem. Kat. 505 Stargardt, Sept. 1952, Nr. 418. K: Renate d. 28 Febr. J: Täglichsbeck S. 104. A: IV. Abt., III.1, Nr. 340. 296,21 Ihres] so auch K 297,2 sein] davor gestr. immer H 6 mir] davor gestr. aus H 9 das Fischlein] aus der Karpfen H, der Karpfen K es] aus er H, er K dasselbe] aus ihn H, ihn K 12 abends bis 14 denken und 15 Seele die grösten] unterstr., aber wohl nicht von Jean Paul H
Matthias (24. Febr.) bricht das Eis, vgl. I. Abt., XIV, 37, 36, XV, 15, 35. Renatens Geburtstag war am 9. März.