Von Jean Paul an Paul Emile Thieriot. Weimar, 7. März 1800.
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Mein guter Aemilius! Ich hätt’ Ihnen das Post- und Lesegeld er302,35
sparen können, da ich das Buch später
von Jena bekommen, das blos
303,1
aus Leerheit, Widrigkeit und Wiederholung besteht. Lesen Sie
doch vor
meinem Clavis
Schad. — Sein System wil kein
transsz. Egoismus
sein, weil sonst die Moralität zerstiebt; aber konsequent mus man es,
wie ich gethan,
hinauffolgern. Das Übrige was Sie nennen, ist er303,5
bärmliche verwirrende Ackommodazion, die 2lei Sin hat, den des Verf.,
und den
des unfichtischen Lesers. Ich habe dagegen einige nöthige
Worte in der Vorrede gesagt; wie ich denn überhaupt nun alle
befiederten Krallen dieser Schule gegen mich aufgerufen
haben
werde und wenig schonte, weil ich wuste, ich werde
nicht geschont.303,10
Ihr Extrakt aus Müller ist sehr gut. — Ich schrieb Ihnen härter
als mein Herz war; aber Sie werden mir einmal danken.
Ehrgeiz sol
der Jüngling haben — Eitelkeit ist schon
zweideutiger —; aber das
Edlere mus nicht das Kind sondern
der Vater des Ehrgeizes sein. Kurz
es ist schlim — wofür oft
einer nichts kan —, wenn einer alle herliche
303,15
Zustände der Menschheit und Jugend früher in Büchern
findet und
hinterher in sich und dadurch sie schon besonnen
ausbälgt.
— Leben Sie wohl, Guter! Ihr Herz ist schuldlos. — Schreiben
[Sie] bald und unbeschreiblich viel. — Im
Mai zu Ende bin ich bei
meiner Seele! in Leipzig.
303,20
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Paul Emile Thieriot. Weimar, 7. März 1800. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_414
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Berlin Varnh. 213 (derzeit BJK). 3 S. 8°. K: Thieriot 7. J: Denkw. 1,422× (als Schluß von Nr. 404). B: IV. Abt., III.2, Nr. 330. A: IV. Abt., III.2, Nr. 351. 303,4 sonst] aus dan H mus] aus kan H 8 in der Vorrede] nachtr. H 15 wenn bis 17 ausbälgt] gestr. K (s. I.Abt., VIII, 312,35ff. — Roquairol!)
Thieriot hatte Fichtes „Bestimmung des Menschen“ übersandt und unter Verweis auf S. 298ff. darin gemeint, sein System sei doch kein Egoismus. 303, 11 Er hatte Auszüge aus Johann Georg Müllers „Briefen über das Studium der Wissenschaften“, Zürich 1798, gesandt. 12—14 Er hatte gefragt, ob für die Ehrwut ( Ehrgeiz) nicht die früheste Verwirklichung ihrer Träume die schnelleste Kur sei, und sich darauf berufen, daß nach Dupaty („Briefe über Italien vom Jahre 1785“, deutsch von G. Forster, Mainz 1789) ohne Ruhmbegierde nie etwas Großes geschehen sei, und daß B. Franklin die Eitelkeit unter die unschuldigen Annehmlichkeiten des Lebens zähle.