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Korrespondenz

Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Weimar, 27. Juli 1800 bis 30. Juli 1800.

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356,15
Weimar d. 27 Jul. 1800.

Mein pythagoräischer Heinrich! Den Aufsaz für das Taschenbuch
wird dir Perthes mit diesem Brief schicken. Ich habe mit Begeisterung
daran geschaffen; und er könte eine poetische Arbeit werden, wenn ich
nicht der Muse durch die Fruchtkörbe, die ich ihr auf den Kopf packe, 356,20
die Taille verdürbe. — Du hast jezt über viel zu urtheilen, darüber —
über den Titan — über den Clavis — und über mich wegen Folgendem:

Im Herbste zieh’ ich für den Winter nach Berlin, wo mich von der
Königin an, die gewis mehr Unterthanen hat als Unterthaninnen, bis
zu diesen, die auf dem Theater jene machen, alles recht liebend auf- 356,25
genommen. Warlich ein Romanskribent fährt gut.

Berlin hat den besondern Vorzug — den 100 Städte nicht haben —
daß man darin seinem Heinrich Jakobi näher ist als in Weimar. So
rück’ ich immer näher deiner Brust.

Meine Heirath wird nichts; ich kan dir das lange Räthsel nicht356,30
(heute) lösen, nur sagen: „Caroline ist edel, Herder betete sie an bei
dem ersten Sehen — die Familie willigte ein — ich schied mich — aber
wir schreiben uns fort.“ —

Zu etwas Froherem! Schreibe mir von Baggesen. — Sei so gut,
den Wohnort auf das Briefgen an die Moltke zu schreiben, das ich 356,35
ihr so seit ¾ Jahr lang schuldig bin. Auch gieb auf die Post einen357,1
Brief an mich von dir. Guter, du schweigst meinem Herzen zu lange.
Aus Berlin schrieb ich dir auch. —

Schellings transszendentaler Idealismus ist ein Meisterstük von
Scharfsin, das man mit eben so viel Freude als Erbossung lieset;357,5
leztere darüber, weil er sich die Evakuazion und Schöpfung des Wirk
lichen immer leichter macht, je zusammengesezter er es findet, z. B.
die Organisazion. Du must es lesen. Herder ist trübe über die Zeit,
über Weimar, sich und alles. Seine Sehnsucht strebt nach einem
akademischen Amte, wo er sein Altarlicht vor Jünglingen leuchten357,10
lassen kan. Der Graf Münster sagte mir von deiner Verbindung mit
dem neuen Kieler Kanzler — mache das „Und so weiter“. —

d. 30. Jul.

Nim mit diesem Briefgen vorlieb; der Aufsaz ist ein längeres. Die
Lustzeit in Berlin hat mir viel Arbeitstage aufgehäuft. 357,15

Fichte ist sehr zornig über den Clavis; aber nach Herders Ausdruk
fand der Clavis viele Löcher in Jena.

Ich sehne mich unendlich nach deiner Rede, nach den Nachrichten
deiner Gesundheit und deines Lebens. Liebe mich fort und lebe wohl,
mein Heinrich!357,20

Grüsse deine Liebenden.


Richter

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Weimar, 27. Juli 1800 bis 30. Juli 1800. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_494


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959. Briefnr.: 507. Seite(n): 356-357 (Brieftext) und 519 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

(H: ehem. Kat. 75 Henrici, März 1922, Nr. 929. 4 S. 8°.) K: Fr. H. Jakobi 27. u. 30 Jul. * J: Jacobi S. 69. A: IV. Abt., III.1, Nr. 422. 356,26 Romanskribent] so K, Romanenschreiber J 28 Heinrich] F. K 357,10 seine Altarlichter K

Angekommen 9. Aug. mit dem Aufsatz „Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht“, der aber nicht in dem Jacobischen Taschenbuch erschien, da dieses für 1801 ausfiel. 357, 11 f. Graf Münster: s. zu Nr. 94. Kieler Kanzler: Friedrich Karl Graf Reventlow (1754—1828).