Von Jean Paul an Carl Christian Rolsch (Roltsch). Hof, 14. Juli 1794.
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Die meisten Menschen bleiben so eckig und fleckig als sie sind, weil
sie sich auf einmal ausflicken und aufbauen wollen. Aus dem
Marmor
schäälet man die schöne Statue durch Millionen Schläge
heraus und13,5
doch wil der Mensch seiner mit Wust umklebten
Seele mit einem
einzigen Schlage die schöne Gestalt anzaubern
und sich in 1 Stunde
bessern, da er sich kaum in 1 verschlimmern
kan. Jätet der Mensch nur
jeden Monat einen Fehler aus, so
braucht er nicht viele Jahre, um ein
Mensch zu werden, und noch
ein Paar dazu, um ein Engel zu werden. —13,10
Ich wünsche,
daß Sie mit Ihrem Purpursak um Ihre Hausthür
flankieren, nicht
um mir den Bart sondern die Fanny abzunehmen —
und daß Sie nicht war reden sondern
wahr — und daß Sie auf der
Himmels
Leiter des Lernens immer von einer Sprosse auf die andere
klettern.13,15
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Carl Christian Rolsch (Roltsch). Hof, 14. Juli 1794. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_10
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
K: Rolsch 14 Jul. 94. i: Wahrheit 5,50. B: IV. Abt., II, Nr. 2. A: IV. Abt., II, Nr. 5. 13,11 Ihrem] ihrem
Über Karl Christian Rolsch (so schreibt er sich selbst; Jean Paul schreibt meist Roltsch), einen bildungseifrigen Badergesellen, dessen sich Richter in Schwarzenbach liebevoll angenommen hatte, vgl. meinen Aufsatz „Ein Barbiergesell über Weimar“ im Goethe-Jahrbuch 1921, S. 174. Sein Vater lebte in oder bei Hof; in den dortigen Kirchenbüchern findet sich aber nichts über die Familie. Seine ziemlich vollständig erhaltenen, von grammatischen und orthographischen Fehlern wimmelnden Briefe an Richter strömen von Dankbarkeit gegen seinen Lehrer und „Genius“ über, der ihn erst zu einem Menschen gemacht habe. — Die Regel, jeden Monat einen bestimmten eignen Fehler zu bekämpfen, übte Richter, wie gleichzeitige Tagebuchstellen zeigen, an sich selber; vgl. I. Abt., III, 111,25f. Sein Brief scheint außerdem noch einzelne Studierregeln enthalten zu haben, wie folgende Stelle in A zeigt: „Schon habe ich an gefan[g]en fortschritte zu machen, welche er [Richters Brief] mir anleit[et]. Ich habe jedes meiner Pappiere in eine gewisse Ordnung gebracht. Zum gedichten habe ich ein Fach, welche ich exzerpiehrt habe, zum Conzepten, zum Aufsätzen, zu verschiedenheiten, nehmlich gewisse Sätze, welche ich mir abschreibe, u. s. w. An einen Monats-Re[gu]latiev arbeite ich noch, den[n] ich will jeder Stunde eine gewisse Arbeit wählen ...“ 13, 11 Purpursack: Futteral für Schermesser; s. 112, 4. 12 Fanny: wie aus A hervorgeht, handelt es sich um J. Th. Hermes’ ersten Roman „Geschichte der Miß Fanny Wilkes“, 2. Aufl., Leipzig 1770.