Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 22. Juli 94.
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Die beste Antwort, die ich dir auf dein Schreiben hätte geben
können, wäre gewesen, daß du michs hättest lesen sehen. Bis diese
Minute dauert es mich, daß ich mit der Rührung, die sich aus
der
Freude über dich, über mich und über das Schiksal
zusammensezte, ins15,30
heroldische Haus gegangen bin und
nicht ins Freie, wo der blaue
Himmel eine verwandtere Nachbarschaft einer wehmüthigen
Freude
gewesen wäre. — Ich weis recht gut, welchen
heimlichen Antheil an
deiner Kritik nicht nur deine
Freundschaft sondern auch die ähnliche
Gesinnung nimt, die du
mit mir über unser Stängelgen der Erde und16,1
über den ganzen Bauer
des Universums hast und die es auch machte,
daß Moriz mich zu
gelinde beurtheilte. — Und doch ist der Mangel
dieser Gesinnung durch nichts in der Welt zu erstatten, man
mag
rezensieren oder loben. — Dieser dein Gesichtspunkt, die
Welt an16,5
zuschauen — die wirkliche, die
historische und die poetische — und dein
Enthusiasmus durfte mir
ja wol vor Freude die Augen nasmachen.
Ich bin jezt, nach dem Hervortreiben der hier beiliegenden Szenen,
ein wenig ausgeleert, nim also die Ermüdung nicht übel. —
Meine
Kritik über die deinige erräthst du aus meinem Gehorsam
dagegen:16,10
blos einzelne Worte, nie ganze getadelte
Szenen deck’ ich gegen dich.
Mich wunderte oft dein Blik in ein
Räderwerk, das doch nicht ex
professo
auf deine Drechselbank gehört; und es ist schade, daß gerade
die zum Rezensieren tüchtig sind, die zu gut dazu sind. — Ich werfe
(es ist schon 4¼ Uhr) alles untereinander. — Lege nur deine
tolle16,15
Angst wegen deiner Dunkelheit ab. — Ich kan dir
für deine Mühe um
mein Werk mit nichts danken als mit der
Versicherung, daß meine um
deines nicht kleiner sein sol,
obgleich nur die Form, nicht die Materie
davon meine
Erwiederungen zulassen kan. — Ueber einiges können
wir mündlich
und peripathetisch, nicht pathetisch, auf unsern Reisen16,20
sprechen. — Übrigens machen meine Ideale und dein Lob (des
Menschen, nicht Autors) einen Kontrast mit den Schwächen des
armen Paulus, der ihn hoff’ ich nicht blos beschämen sondern auch
reformieren und arrondieren wird. Ach ich war sonst (in der
Stille, in
meiner Einsamkeit, in meiner körperlichen
Dürftigkeit) anders und16,25
besser und sanfter; aber die
Anspannungen der Phantasie geben allen
Leidenschaften zuviel
Milchsaft und Heftigkeit. Meine ernsteste Bitte
ist: daß du
mich ohne Schonen tadelst — Folg’ ich dir auch nicht
sogleich:
so thu’ ichs doch später. Rüge nicht schweigend, Lieber:
nach
deinem übertriebnen Lobe müst’ ich dir sogar übertriebnen Tadel16,30
vergeben, geschweige gerechten. —
„Es fiel mir bei einigen Stellen schwer aufs Herz, daß ich dir noch
„eine Erklärung über eine Begebenheit schuldig bin, bei der
mich nur
„deine alzuschonende Beurtheilung gegen den Verdacht
des Eigennuzes
„(ausser meiner eignen Voreiligkeit und einem
Misverständnis)16,35
„schüzen kan .... traue mir jede
Aenderung zu, die von mir abhängt
„und auch eine Aufopferung“ —
— schreibst du. — Lieber Otto! keine
einzige Stelle in meinem
Buche konte bei deiner und meiner Denkungs-
17,1
art dich mehr als die Stelle irgend eines
fremden Buches zu jener
Bemerkung veranlassen. Die Probe der
Aufopferung hast du längst
abgelegt und der Gegenstand davon
macht keinen Unterschied als den
zu deiner Ehre. Nach jenem Abende thatest du keinen
Schrit, wofür17,5
dich nicht mein besseres Innere ehrte; und
übrigens weist du ja, wie
flatternd — sobald keine Pflichten
fixieren — und froh und phantastisch
dein Freund ist. Lebe recht
wol, mein Lieber Guter und glaube mir,
daß ich, wenn ich einmal
Hof verlassen mus, krank und bleich und
sterbend sein werde eh ich mich von deinem treuen Herzen
gerissen.17,10
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 22. Juli 94. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_14
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Berlin JP. 4 S. 4°. K: Otto den 22 Jul. 94. J 1: Wahrheit 5,14×. J 2: Otto 1,170. B: IV. Abt., II, Nr. 3. 16,1 nimt] aus hat H unser] dieses K der] aus von H, von K 14 tüchtig] aus gut H 17 , 4 davon] nachtr. H keinen Unterschied] aus den Unterschied nicht H
Otto hatte dem überwältigenden Eindruck, den ihm die Lektüre des Hesperus hinterlassen, wärmsten Ausdruck geliehen. 16, 15f. Vgl. B: „Ich sage aus Furcht, mich nicht deutlich auszudrücken, lieber eine Sache zweimal.“ 26f. Vgl. I. Abt., IV, 148, 1–3 . 32ff. Zitat aus Ottos Brief vom 25. Aug. 1793 (Bd. I, 561, Nr. 144), wo aber statt „meiner“ (Z. 35) „einer“ steht. Otto scheint in jenen Szenen des Hesperus, in denen der Freundschaftsbund zwischen Viktor und Flamin durch des letzteren Eifersucht zerrissen wird, Reflexe von Vorgängen gefunden zu haben, die durch seine und Richters gleichzeitige Liebe zu Amöne Herold ver- anlaßt worden waren; vgl. Bd. I, Nr. 413† und Spaziers Jean-PaulBiographie 3,179 und 199f.