Von Jean Paul an Emanuel. Hof, 9. Februar 1796.
Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.
[9. Febr. Fastnachts-Dienstag]
Ich theile meinen Brief an Sie in zwei Briefgen ab, in dieses und
in das nach 8 Tagen, wo mein Buch gewis ankömt. Früher kan ich
also dem lieben Elrodt nichts
schicken als Grüsse. Der geistreichen
Dame — und wem Sie wollen — können Sie alle meine Briefe geben,
sogar diesen als
Cessionsinstrument und den Briefschreiber dazu. Ich151,30
habe keine Geheimnisse als fremde und meine Kleinigkeiten, Thor
heiten und Defekte stehen jedem Auge zu
Diensten: warum sol ich nicht
schon jezt das Urtheil
antizipieren, das ich nach 100 Jahren fällen mus,
wenn die
Erde mit meinen und unsern Lebensmöbeln und Geschirren152,1
und
Lumpen weit unter unsern Füssen flieht? — Sagen Sie der Dame,
daß ich furchtsamer bin als furchtbar. Ich finde Fehler, aber ich suche
keine, sondern nur Schönheiten, die
[ich] leicht finde und leicht
erträume.
Sobald man nicht in bürgerliche Verhältnisse mit einem Menschen152,5
kömt, ist es eben so fehlerhaft, nach seinen Höckern herumzutasten, als es
wäre, wenn man auf einem Blumenbeete die Tulpen
auseinanderbiegen
und die verdorten Gräsgen des dunkeln
Bodens aufdecken wolte. —
Die Gleichheit des Herzens hilft jeder Ungleichheit des Standes und
Kopfes in der Freundschaft ab. Wenn ein Fürst ein Emanuel,
oder152,10
eine Gräfin eine Emanuela ist: so können ich
und Sie beide lieben.
Was Sie aber darüber schrieben, ist sehr
schön.
Amöne schrieb mir: „stilschweigend hätt ich meine Erlaubnis lieber
„gegeben als laut. Schreiben Sie was Sie wollen. Lieset Ihre
Bücher
„doch auch jeder.“ D. h.: sie sagt Ja. Sobald ein
Mädgen ein „Nein“152,15
nicht rundweg sagt, sondern mit
Bedingungen: so sol man ihr nur das
Ja abpressen. —
— In der algem. Gerichtsordnung § 12 des XII. Tit. steht
gleich
wol: „die Dedukzionen werden in
der Regel von den rechtserfahrnen
„Bevolmächtigten oder
Beiständen, deren sich die Partheien bei der152,20
„Instrukzion bedient haben, angefertigt. Doch steht einer jeden Parthei,
„besonders denjenigen, die die Instrukzion persönlich ohne
besondere
„Assistenten abgewartet haben, frei, die
Anfertigung der Dedukzion
„irgend einem
andern selbst gewählten Rechtsgelehrten zu über
„tragen. Auch müssen dergl. allemal von einem Justizkommissar
152,25
„unterschrieben und
legalisiert sein.“
Nach diesem Paragraph könnten Sie doch. — Ich mag nicht weiter
darüber denken d. h. fluchen.
Ich hatte nicht nur neulich die stumme Erlaubnis von Otto, seinen
Brief an Sie zu lesen, sondern auch jezt die laute, Sie darum
zu bitten152,30
— zumal da er selber ihn wieder lesen
wil.
Meinen herzlichen Dank für alles, was Sie mir in Bayreuth
neu-
lich gaben und noch immer verschaffen,
worunter Freunde zuerst ge
hören —
Freundinnen auch. Wie sehn’ ich mich wieder hin!
unveränderlicher Freund
Richter
1. N. S. Die verhülte Pallas hat noch einen leichtern Weg, zu
153,1
meinen Briefen zu kommen, noch dazu eh’ sie erbrochen sind,
—
nämlich ihre Adresse und ihre Erlaubnis.
Ich kenne — das Brieflesen ausgenommen — kein grösseres Ver
gnügen als das Briefschreiben, das ich leider jezt einem
andern153,5
Schreiben aufzuopfern gezwungen bin.
2. N. S. Das Geld für die viel zu wolfeile Schürze packe ich be
quemer dem künftigen Buche bei
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Emanuel. Hof, 9. Februar 1796. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_231
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: SBa. 7 S. 8°. K: Emanuel. Fastnachtstag 96. J: Denkw. 1,45× (12. Febr. 1796). B: IV. Abt., II, Nr. 70. 151,26 dieses] aus diesen H 27 das] aus den H 152,3 furchtbar] aus fürchterlich H 4 die bis erträume] nachtr. H 15 D. h.] aus Kurz H 27 doch] nachtr. H 31 da] nachtr. H ihn] nachtr. H 153,3 und ihre Erlaubnis] nachtr. H
151,28 ff. Vgl. B: „Eine Verehrerin des Hesperus bat mich, sie einen Brief von Ihnen lesen zu lassen. Da ich nicht wußte, ob es Ihnen recht sei, schlug ich es ihr ab. Gestern schrieb sie mir: ‚Von dem so sehr geliebten als gefürchteten Jean Paul wollen Sie mir keinen Brief schicken?‘ Wirklich fürchten Ihre Leser Sie alle so sehr, als sie Sie lieben. Man glaubt, Sie müßten einen jeden Menschen so gut kennen wie sich selbst. ‚Ich lasse mich gewiß nicht vor ihm sehen‘, sagte Fräulein von E ...“ Vgl. Nr. 257†. 152, 9–12 Vgl. B: „Einer sehr vornehmen Freundin antwortete ich auf ihren sehr freundschaftlichen Brief: ‚Wir können wohl jemanden lieben, ohne daß er diese Liebe in gleichem Grade erwidert; so viel Freundschaft aber ich hingebe, muß ich wieder bekommen. Darum gehört zur Freundschaft mehr Gleichheit des Standes und der Seele als zur Liebe.‘ Wasmeinen Sie dazu?“ 13 Amönens Erlaubnis: ihre Briefe an Emanuel zu lesen. vgl. 145, 34 – 37. 18–26 Vgl. 150, 6f.