Von Jean Paul an Wilhelmine von Kropff. Hof, 2. Juni 1796.
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Ja, beste Freundin, hier nist’ ich noch, weil ich als ein Wetter
Daniel nicht gerade den Regengüssen entgegenreisen wolte.
Über-
morgen aber heb’ ich endlich meine
Entenflügel auf.200,5
Vorgestern gaben Sie mir den Stich der Freude durchs Herz,
indem ein Wagen mit einer Verschleierten vorüberrolte, der schön
genug war, daß ich ihn für den Ihrigen halten konte. Ich weis
nicht,
ob die Verschleierte mich auch durch Schönheit zu
Verwechslung würde
berechtigt haben. Ach warum waren Sie es
nicht? Nie wird die200,10
Freundschaft, die man einer theuern
Person an einem fremden Ort
gegeben, grösser als wenn man
diese an seinem eignen findet. Giebts
denn keine schlesische
Freundin mehr, der Sie die schönen Stunden bis
nach Hof verlängern, um die meinigen anzufangen? —
Ueberhaupt
wil man Freundinnen gern in den Lagen des Herzens gegen
Freun200,15
dinnen, gegen Kinder,
gegen Geschwister sehen. Ihrem Geschlechte
stehet die Liebe so
schön! Ach ich hätte Sie und Ihre Eliese in der
t[r]unknen Stunde der höchsten Liebe
ungesehen sehen mögen!
Da ich in Weimar beinahe nur Zeit zu zwei Dingen habe, zum
Ankommen und Abgehen: so werden Sie wohl meinen ersten
Brief200,20
wieder aus — diesem
Dintenfas erhalten. Aber der Ihrige oder die
Ihrigen wehen
mich dort als Zephyre aus Ihren Blumen an! —
Rathen Sie mir
lieber Vergessen als Erinnern an: ich bin vielleicht
eher
wieder neben Ihnen als A[hlefeld]. Jeder
neue Brief ründet
seinen edeln Apostelkopf immer schöner in meiner Phantasie.
Wenn
200,25
der lezte Brief nicht offen war: so befehlen Sie mir,
ihn Ihnen zu
schicken. Lesen Sie vor den Mumien lieber die
biographischen Be-
lustigungen, dan die Blumenstücke,
endlich jene. — Leben Sie glüklich,
Theuerste, der Himmel über Ihnen und der in Ihrem Herzen,
habe
nie mehr Wolken als Sie gerade zu einem schönen kühlen
Schatten200,30
brauchen.
Richter
N. S. Den 19 Juny bin ich wahrscheinlich wieder am Hofer
Schreibetisch und beantworte Ihre Briefe.200,35
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Wilhelmine von Kropff. Hof, 2. Juni 1796. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_324
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Williams College. 4 S. 8°. K: Minette 2 Jun. J: Carter Nr. 6. 200,22 Zephyre] aus ein Zephyr H 25 schöner] aus mehr H
200,13 schlesische Freundin: wahrscheinlich Frau von Vaerst, s. Nr. 431†. 26 der letzte Brief: IV. Abt. (Br. an J. P.), II, Nr. 92. 34 Den 19. Juni: vgl. Nr. 329†.