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Korrespondenz

Von Jean Paul an Friedrich Hildebrand Freiherr von Einsiedel-Scharfenstein. Hof, 14. November 1796.

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[Kopie]

[ Hof, 14. Nov. 1796 ]
272,2

Die theatralischen Mitrailladen der poetischen Septembris[ierer].
Ich habe gute Stellen als Rubrikat[or] mit Roth bemerkt, wie wohl
ich Sie, da dieses Rothwildpret überal darin ist, leicht zu einem pater 272,5
purpuratus machen könte. — Ich danke Ihnen gleich dem Publikum
dafür. Weimar ist für mich eine untergesunkne Atlantische Insel: ich
kan mir kaum denken, daß ich einmal an diesem otah[eitischen] Ufer
ausstieg. Ach irgend eine Seekarte und ein leitender Stern werden mich
wieder auf dieses volle Eiland führen. Vielleicht schreiben Sie mir ein272,10
Wort oder eine Sylbe oder doch einen Buchstaben. Gewinnen Sie ihm
[Wieland] so viele mündliche Sylben für mich ab als ich Wochen Ihre
Abhandlung behalten: ich wil mir ein Billet daraus zusammen sezen.

Der Schauspieler, der einen Redner darzustellen hätte, müste zu
gleich den Redner und die Rede geben, jener nur diese. — Der Unter272,15
schied zwischen Lust- und Trauerspiel wird dadurch noch grösser, daß
jenes kleinere Ansprüche auf Täuschung macht als dieses: die Täuschung
des Herzens aber schliesset jede Wilkühr aus — Heinrich der junge ver-
einigt sich mit dem schmuzigen tiers etat aus der humoristischen
brittischen Neigung zum niedern Volk, aus jugendlichem Hang zu 272,20
fessellosen Festen und in der Dauphins Jagd nach den Mysterien seiner
künftigen Unterthanen — daß heftige Leidenschaften zumal in Muth-
losen sich durch die Uebertreibung des Humors äussern und helfen.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Friedrich Hildebrand Freiherr von Einsiedel-Scharfenstein. Hof, 14. November 1796. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_459


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958. Briefnr.: 460. Seite(n): 272 (Brieftext) und 485 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

K: Einsiedel. 14 Nov. 96. i: Wahrheit 5,182×. B: IV. Abt., II, Nr. 130. A: IV. Abt., II, Nr. 159.

Vgl. Nr. 367† und 462; Euphorion XXI (1914), 227. Die erste Zeile bezieht sich auf die Satire „Gravamina der deutschen Schauspielergesellschaften, die mörderischen Nachstellungen der deutschen Tragiker betreffend“ im Jubelsenior (I. Abt., V, 421—432), die Jean Paul mitschickte und aus der Einsiedel einiges in seine Abhandlung übernahm. 272, 11–13 Vgl. A: „ Wieland hat die Schuld seiner Literaphobie nicht ableugnen können; seine eigenen Worte mögen ihn entschuldigen: ‚Geben Sie mir eine neue Sprache, so will ich unter allen Briefschulden diese am liebsten tilgen. Bei manchem Versuche war mir jeder Ausdruck zu arm, zu kahl. Lassen Sie seine Gegenwart mich bald recht beschämen.‘ Dieser Konfession ungeachtet, hofft er doch Ihnen durch ein Blättchen noch zuvorzukommen.“ (Was nicht erfolgte.) 14–23 Der Absatz enthält Jean Pauls Noten zu Einsiedels Abhandlung, die dieser beinahe wörtlich, ohne Angabe der Herkunft, in seinen Text einflocht. Man vergleiche folgende Stellen in Einsiedels „Grundlinien zu einer Theorie der Schauspielkunst“ (Leipzig 1797): „Der Unterschied zwischen Lust- und Trauerspiel wird dadurch noch größer, daß jenes geringere Ansprüche auf Täuschung macht als dieses; die Täuschung des Herzens aber schließt jede Willkühr aus —“ (S. 75). „... der Grund, warum dieser muthwillige Königssohn [in Shakespeares „Heinrich IV.“] sich mit Fallstafs pöbelhafter Natur vereinigt, liegt mehr in dem humoristischen brittischen Wohlgefallen an Volksszenen ... in dem jugendlichen Hange zu fessellosen Festen und in der Neugier, die Denkart seiner künftigen Unterthanen zu erforschen ...“ (S. 107f.) „Und endlich der humoristische Wahnsinn [Hamlets], ... den er (wie muthlose Menschen bey heftigen Leidenschaften zu thun pflegen) durch Übertreibung des Humors äußert und sich dadurch zu helfen glaubt.“ (S. 122.)