Von Jean Paul an Emanuel. Coburg, 4. Juni 1804.
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Verzeihen Sie, Guter, die Papier Form; am Montage ist Kinder-
wäsche-Waschtag und das Mädchen nicht zu
schicken; und schreiben296,20
muß ich heute. Das
Qua[r]tier ist nach dem Bier Ihre letzte
Plage
und Sorge; man sagt auch ein
Qua[r]tier Bier; ich: ein
Bier-Quartier.
Das Mansardenlogis am Main gefällt mir am
meisten, 1) wenn keine
Stuben-Mauer darin schief 2) es unter dem Dache nicht zu heiß
und
3) die Treppen (meiner Frau und Kinder wegen) nicht zu
hoch sind.
296,25
Das 100 fl.-Logis würd’ ich nehmen, wenn ich mich
nicht zu großer
dunkler Burg-Stuben daraus erinnerte und
überhaupt einer gewissen
dem matten Prof. Münch und seinen langen Fingernägeln ähnlichen
Langheit und Dumpfheit; Himmel! so niedliche lichte lustige
Zimmer
wie in Meiningen! Indeß
miethen Sie — hat das letztere Logis Berge
296,30
vor sich, herrliche Zimmerchen etc. — welches Sie
wollen, auf meine
Gefahr, nicht auf Ihre. Niemals bekam ich
ein schöneres Logis als das
ich selber nicht gemiethet hatte —
das jetzige. In Hof weiß Otto,
wie oft ich miethete und wie selten ich bezog. Es fehlt nicht
viel, so
mieth ich jetzt 2, um ankommend einige schwache Wahl
zu haben; denn296,35
kleiner giebts keine Wahl als unter 1
und 2. — Ein Logis wie Otto’s
mit Zimmerchen, — obwohl nicht hinter einander — wäre so
recht.297,1
Ich glaub’ aber nicht, daß ers jetzt vermiethet. So
sehr viele Zimmer
brauch’ ich nicht; denn in Bayreuth hab’ ich
nur Taggäste zu logieren.
— Herzlich erfreuet mich Thieriots
Ankunft im July; er soll Spaß
hören und leiden. Wenn er nur bleibt bis ich komme, da er
sonst selten297,5
an einem Orte länger verharrt als 1 Monat
oder so, nämlich als
Gast! Vielleicht kommt er später und erst
den 2 July. — Ich danke
Otto für seine schnelle Belehrung, der
ich Folge geleistet. Die Un-
richtigkeiten in meinem ersten Briefe waren Folgen des vergeßnen
und damals
noch unsichtbaren Wechsels und des Weißmachens von297,10
Holzapfel, der am Jammer schuld ist; denn er wollte den
Wechsel
8 Tage eher holen lassen. — Daß ich keinen
Spitzbuben-Fuhrmann
für die Fässer auftrieb, ungeachtet
alles fremden Versprechens und
eignen Schickens, sehen Sie ja
daraus, daß ich auch keinen für das
Bier auffand — — Aber bin
ich nur einmal in Bayreuth: so soll ein
297,15
ganz anderes Mäßigkeits-System anfangen. Himmel, wie
werd’
ich trinken, und doch mäßig! — Ich hatte auf meiner
letzten Reise
weniger Götterlust als ich mir versprochen; die
Lebens-Poesie vor der
Ehe blüht zwar in der Ehe noch auf dem
Papiere nach und vielleicht
reicher und wahrer, aber ins
Leben, wenigstens ins Reisen ist sie297,20
schwer mehr zu
treiben. In Italien vielleicht könnt’ ich noch außer mir
kommen — und doch zöge mich Familien-Sehnsucht wieder zu
sehr. —
Warum ist mir denn meine gute Brüningk gestorben? Sie und die
Jüdin Gad (die Domeier) waren unter meinen Freundinnen die red-
lichsten und uneigennützigsten; dann
kommt die Kalb; spät die andern.
297,25
— Ich arbeite jetzt wie ein Vieh, nämlich in sofern
der arme Körper
doch auch mit an meiner Aesthetik helfen und
schreiben muß, indem er
dabei seine Schreibfinger und seinen Hintern und selber
seinen Schlund
hergeben muß, sogar seine Paar Füsse, um den
Geist jeden Morgen
auf den Adamiberg zu tragen, wo solcher
tief sinnt und ausarbeitet
297,30
und den Leib als einen gemeinen Lakaien, unter seinen
höhern Be
geisterungen zum Bier oder Weine
fortgehen lässet. Ich fürchte Ende
Monats einigen und durch den ganzen künftigen vielen Regen.
—
Ein Nürnberger wollte mich und die Meinigen nach
Nürnberg be-
298,1
reden. — Ich möchte wissen wo ich sonst
meinen Verstand hatte,
daß ich mich stets an Einen Ort
festpichte. Jetzt nagelt einen Ge
päck und
Familie ohnehin überall an. — Der Hof ist in Saalfeld;
ich hatte das Vergnügen, kurz vorher gegen ihn grob zu sein;
näm298,5
lich auf die Sontags Einladung
ohne weitere Grund-Angabe nicht
zu kommen. Gleichwohl wurd’ ich
während meiner Reise noch 2 mal
invitiert. —
Nun leben Sie wohl, mein Alter! Gott sende mir bald Ihre Ant
worten. Ach die Korrespondenz ist ohnehin bald geschlossen;
denn was298,10
sind Billets?
Frau und Kinder sind alle gesund und auch der 5te
Treffer, ich.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Emanuel. Coburg, 4. Juni 1804. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_471
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: SBa. 4 S. quadrat. Formats. Vermerk Emanuels: 10ten — beantw. (nicht erhalten) K: Eman. 4 Jun. J: Denkw. 1,161×. B: IV. Abt., IV, Nr. 348. 296,19 Papier] nachtr. H 24 Stuben-] nachtr. H 27 gewissen] aus gewißen H 28 matten] nachtr. H 35 schwache] nachtr. H 36 giebts] verb. in gibts K 297,4 im July] nachtr. H 6 verharrt] aus bleibt H 10 damals] nachtr. H 18 Lebens-] nachtr. H 27 schreiben] aus ziehen H 28 seinen Schlund] aus seine Kehle H 29 Füsse] aus Füße H 30 solcher] aus er H 31 und bis 32 lässet] nachtr. H 32 fortgehen lässet] aus fortschickt H lässet] aus läßt K 33 einigen] nachtr. H 298,3 nagelt] aus zwingt H 6 weitere Grund-Angabe] aus weitern Grund H
296,28 Münch: s. Bd. II, Nr. 146†; er war 1798 Professor der Philosophie in Altdorf geworden, 1803 Pfarrer in Ellwangen; vgl. zu Nr. 486. 297, 23 Sophie von Brüningk war am 25. Mai 1804 gestorben. 298, 13 fünfte Treffer: Jean Paul zählt das für November erwartete Kind schon mit.