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Korrespondenz

Von Jean Paul an Carl August Böttiger. Berlin, 17. Oktober 1800.

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Berlin. d. 17. Okt. 1800.
3,26

Zuerst die beiden Bücher die ich nicht gestohlen da ich nicht einmal
aus Büchern stehle — ich gab sie meiner Hausfrau zum Zurüktragen;
wahrscheinlich vergas sie den Ort und brachte sie zu Herder. — Im
heutigen Brief bin ich noch in Rüksicht des Stofs ein pauvre honteux. 3,30
Ein Paar Worte über Mozarts Requiem, Büri und Merkel kan
Ihnen Herder vorlesen da ichs nicht von mir gewinnen kan, mich —
ausser meinen Büchern — zu wiederholen. Grosse Gelehrte hab’ ich
hier weniger noch besucht als gelehrte Grosse; dreimal as ich bei dem
treflichen Minister v. Alvensleben, wo ich auch den guten Ifland 3,35
fand. Sein eignes Zeugnis und sein Spiel in der Lästerschule beweisen
den Saz den ich oft schon gegen seinen Todfeind Bernh[ardi] ver- 4,1
focht, daß er dem kalten Verstande nur die eine Hälfte, und dem Genie
die andere danke. Denn das, was diese Beobachtungen macht, ge
braucht und in Ein organisiertes Ganze verknüpft, mus doch Genie
sein. — Flek hätte beinahe den fünften tragischen Akt auf seine eigne 4,5
Rechnung gespielt; aber er kam davon als Monorch. Monarch —
Monorch; Verwechslung beider ist in unserm anorchischen Säkulum
sehr leicht.


Merkel hält nicht gut in meiner Nähe aus; was den Hühnern eine
mit Fuchsdärmern [!] bezogne Harfe ist, bin ich ihm. Bei Sander 4,10
war ich. Den lebensfrohen und nicht lebenssatten, lustigen Teller sah
ich bei dem ehrlichen Herz; eben da auch Zölner und Nicolai, dieses
trefliche Diogenes-Laerzius-Paar vol Anekdoten, deren Wahrheit
beide durch ihre evangelistische Harmonie und durch die tägliche Wieder-
holung schön beweisen. Durch Herder hab’ ich (wenige ausgenommen)4,15
allen Geschmak am hiesigen gelehrten Prosaisten-Stab verloren. Der
Stab wil mirs verdenken, daß er mir nicht ausserordentlich gefället;
aber wenn Menschen ganz gedrukt werden können wie hier, so sucht
man besser die auf, die nicht gedrukt werden können, nämlich die Wei
ber. Nikolai’s Werk über die Perücken ist mit Einsicht und nicht frivol 4,20
sondern in einem dem Gegenstande angemessenen Ernste abgefasset
und ohne die Sprünge einer wilden Phantasie — ausgenommen ein
Paar auf die Zöpfe. — Fichte und die Ausstellung sah ich nicht. Er
lebt hier ganz eingebauet und schweigend. Alvensleben bewies an
einer grossen Tafel seine Unschädlichkeit dadurch, daß er jeden fragte,4,25
ob er ihn gelesen; und da ihn keiner gelesen, auch er nicht: so schlos er,
daß Bücher nicht sonderlich schaden könten, die man gar nicht — läse.


Grüssen Sie recht herzens-warm meinen Wieland, die Herzogin A[ma-
lie] und ihre Satelliten; auch Falk; und die Ihrigen. Leben Sie wohl.

1. N. S. Ich und mein Ahlefeldt leben in einem Paar Himmeln 4,30
mit und neben einander.


2. N. S. Grüssen Sie, wenn sie Ihnen begegnet, meine unverges
liche Hausfrau und sagen Sie ihr, es gehe mir so wohl als sei ich unter
ihrem Dach.


3. N. S. Archenholz hat meinen Aufsaz über die Corday für meine 4,35
beste Arbeit erklärt; welche Unwahrheit mir lieb ist.


Bury malt Fichte.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Carl August Böttiger. Berlin, 17. Oktober 1800. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_5


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 5. Seite(n): (Brieftext) und (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Germ. Museum, Nürnberg. 3 S. 4°; auf der 4. S. Adr.: H. Oberkonsistorialrath Böttiger Weimar. K (nach Nr. 3): Böttiger 17 Okt. B: IV. Abt., IV, Nr. 6. A: IV. Abt., IV, Nr. 28. 3, 30 pauvre] davor moralischer K 31 kan] aus sol H 4,1 oft schon] nachtr. H verfocht] aus verfechte H 3f. gebraucht] aus ordnet H 7 beider] nachtr. H unsern H Säkulum] Zeiten K 12 dem ehrlichen] nachtr. H 18f. Menschen ... können ... die] aus ein Mensch ... kan ... den H 19 nämlich] aus und das sind H 20 mit Einsicht und] aus sehr gut, H 22 die] aus grosse H 23 Paar] danach gestr. mal H 27 sonderlich] aus sehr H

Nach A wurde der Brief (wohl zusammen mit Nr. 4 und 6) durch einen lievländischen Kurier bestellt. 3, 27 Böttiger hatte geschrieben, Jean Paul sei ihm mit zwei Büchern (darunter eines von der Staël) durchgegangen. 35 Alvensleben: s. Nr. 16†. Über Ifflands Spiel hatte Böttiger 1796 eine Schrift herausgegeben, die Tieck im „Gestiefelten Kater“ (1797) verspottet hatte. 36 R. Br. Sheridans „ Lästerschule“ wurde am 13. Okt. 1800 gegeben. 4, 5f. Fleck hatte durch eine Operation eine Hode verloren und trat erst am 18. Dezember wieder auf. 9f. Vgl. I. Abt., VI, 19,35 und Persönl. 61,7f. 11 Wilhelm Abraham Teller (1734—1804), Oberkonsistorialrat in Berlin, aufgeklärter Theolog. 12 Markus Herz (1747—1803), Arzt und Philosoph (Kantianer), Henriettens Gatte. Zöllner: s. Bd. III, Nr. 482, 346,3†. 20 Nicolai, „Über den Gebrauch der falschen Haare und Perücken in alten und neuern Zeiten“, Berlin 1801. 23 Nach Fichte und der Kunstausstellung hatte Böttiger sich erkundigt. 35 Archenholz hatte in seiner Zeitschrift „Minerva“, 1800, 3. Bd., S. 560, Jean Pauls Aufsatz über Charlotte Corday günstig besprochen.