Von Jean Paul an Emilie Dorothea Friederike Harmes. Berlin, 13. März 1801.
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Theuerste! Ich bekam alle Ihre Briefe, aber antworten wird mir
—
bevor ich aus den Berlinischen Lust-Kongressen komme und aus
meinem Arbeitshause — jezt fast unmöglich; und ich bin ein
Schuldner
der ganzen Schreibwelt. Im Mai zieh’ ich sogleich
nach der Kopulazion
nach Meinungen mit
Caroline. Zu andern Reisen geben mir meine
52,10
Bücher keine Musse. Für diese bekomm’ ich zwar immer
mehr Geld,
aber auch für dieses immer mehr insolvente
Schuldner. — O ich
möchte noch so gerne vor meiner Flucht aus
diesem Sande, meine
geliebteste Freundin — die mir jezt durch
ihr Glük und dessen schönen
Genus noch näher wird — an meiner
Brust festhalten; aber diesen52,15
Wunsch kan ich noch
schwerer als Sie erfüllen. Vielleicht kehr’ ich nie
wieder; und
darum sehn’ ich mich so sehr nach der lezten Umarmung. —
Es ist ein sonderbares Geschik, daß wir beide gerade dieselben uns
unentbehrlichen Seelen gefunden. Ihr
Geliebter gefält mir aus dem-
selben Grunde, warum mir meine Geliebte
gefället. Jezt wissen Sie
52,20
vielleicht, wie viel das werth ist was ich sonst
vertheidigen muste. Ein
so sehr gebildeter und zarter und doch
so energischer, reiner und feuriger
Man ist in diesem Occident eine orientalische Perle.
Sagen Sie
ihm meine innigste Bruderliebe und Achtung und die
Entschuldigung
meines Schweigens. Nichts ist weicher als die
Liebe gegen den Ge52,25
liebten einer
Freundin. Martern Sie ihn nicht mit Weissagungen
Ihrer
Krankheit; die Ruhe und Wärme des Herzens wird wie ein
warmes
Klima Ihre Nerven ausheilen. — So wie Sie werd’ auch
ich von
der Verläumdung auf die Schädelstätte geführt und gekreuzigt;
was kan man gegen die Welt thun als sie auslachen und sich mehr und52,30
ihr weniger trauen? —
Hier hat man mich schon oft verlobt oder gar verheirathet mit —
Verheiratheten.
Dank sei der Vorsehung für das Otaheiti, an dessen Ufer Sie jezt
landen. Sogar Ihr litterarischer Geist wird neue Flügelfedern
treiben52,35
(In der Litteraturzeitung sagt der Rezensent
der Gedichte der Mereau,
daß Sie unter allen Weibern die beste Prosa schrieben) Geben
Sie53,1
mir leztere bald. Lebe wohl, edle Seele, wohl, wohl!
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Emilie Dorothea Friederike Harmes. Berlin, 13. März 1801. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_96
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: zuletzt Privatbesitz; ehem. Slg. Apelt, Zittau. 4 S. 8°. K (nach Nr. 98): Berlepsch 14 [!] März. J: Berlepsch Nr. 8. i: Denkw. 2,132×. B 1: IV. Abt., IV, Nr. 63. B 2: IV. Abt., IV, Nr. 97. A: IV. Abt., IV, Nr. 105. 52,7 Lust-] nachtr. H 9 Schreibewelt K 23 diesem Occident] aus dieser Zeit H, diesem Okzident K
Emilie hatte noch einmal gebeten, sie in Redwin zu besuchen, da sie nicht nach Berlin kommen könne. Sie hatte Stellen aus Briefen ihres Bräutigams mitgeteilt, die er ihr geschrieben, als sie ihm wegen ihres mißlichen Gesundheitszustands sein Wort zurückgeben wollte. 52, 25f. Vgl. die entsprechende Bemerkung über die Geliebte eines Freundes Bd. II, 384,23f.†. 28f. Emilie hatte sich über die Verleumdungen beklagt, die über ihre schottische Reise umgingen, und das Gerücht erwähnt, Jean Paul sei in zwei Jahren dreimal versprochen gewesen, die beiden ersten Male mit adligen Damen. 36 Allg. Literaturzeitung, 5. Jan. 1801. Nr. 5.