Von Jean Paul an Johann Friedrich Freiherr Cotta von Cottendorf. Bayreuth, 2. März 1821.
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Höchstgeschätzter Herr Hofrath, der Advokat — nämlich der Teufels
Advokat — Müllner veranlaßte nur
zum Theil mein Aufgeben des
Pförtnerdienstes am Morgenblatt. Ein solcher
Neujahraufsatz, der
100,25
immer eine satirische Übersicht und einen
dichterisch-ausgesprochnen
Glückwunsch enthalten sollte,
kostete mir jährlich mehr Zeit; z. B. die
Saturnalien wurden
vom 15ten Sept. bis 25ten Nov.
gemacht. Mit
den Planeten war ich fertig; und ein poetischer hoffender
Glückwunsch
für 1821 war, wie Ihnen die östreichischen
Truppen beweisen, nicht wol
100,30
zu machen. Auf der andern Seite vertrieb mich
allerdings der Müll-
ner[sche]
Iltisgeruch aus dem Taubenschlage. Einer
unser[er] größten
Gelehrten wunderte sich anfangs „wie Müllner so etwas Hämisches
habe aufnehmen können“,
rieth mir aber trotz seines Unwillens jede
Antwort ab. Ein
anderer berühmter Philolog schrieb mir: „Zudem
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„schlägt die Rezension sich selber. Ich habe über
sie Stimmen gehört von
„befugten Urtheilern und unbefugten,
und keiner, den nicht der abscheu101,1
„liche
Ton beleidigt hätte, das teuflische Bestreben, wehe zu thun, die
„auffallende Verletzung der Wahrheit und Rechtlichkeit, das
schnöde
„Verdrehen und am Schlusse das Pochen auf
gründliche Widerlegung,
„da doch gar, gar nichts widerlegt
ist.“ — Und noch lange so fort.101,5
„Das
Mülln[erische] Gift findet keinen
fruchtbaren Boden, sondern wie
„das der Äschylos-Furien blos
einzelne Steppen, auf denen es ‚Flechten
„und Räude’ ansetzen kann. etc. etc. Cotta ist wohl
unschuldig: da er
„Müllnern einmal sein Vertrauen geschenkt,
kann er sich wohl nicht zum
„Oberredaktör über M. erheben;
auch glaub’ ich, daß dergl. Sendungen101,10
„mechanisch
abgedruckt werden, und Cotta’n erst gedruckt zu Gesichte
„kommen.“ — Und dieß alles unterschreib’ ich froh.
Gleichwol erschien im Oktober der Jena’schen L[iteratur] Zeitung
eine Rezension der Doppelwörter, die an Unverstand und
Ungerechtigkeit
noch weit die Mülln[erische]
überbietet, so daß sie entweder dieser selber101,15
oder der hiesige Kraus[e], Wolke’ns Todtfeind,
gemacht haben kann.
Auf der bessern Seite soll der treffliche Köppen in der Münchner
L[iteratur]
Zeitung ritterlich für mein Büchelchen gestritten haben. —
Nun genug von einer Sache, die ich vielleicht erst nach
Jahren der
eingeschlafnen Untersuchung wieder aufwecken
will. Darum soll mich101,20
Müllner doch nicht aus dem ganzen Morgenblatte vertrieben
haben,
sondern wo mir gerade die Zeit einen Ernst- oder Lachstoff
für dasselbe
bescheert, komm’ ich damit.
Für das Wenige, was ich im vorigen Jahre für das Morgenblatt
und Damentaschenbuch geliefert, bitt’ ich Sie mir eine
Anweisung nach
101,25
Frankfurt a/M zu geben. — Sie könnten aber dieser
Kleinigkeit einen
überwiegenden Zusatz verleihen, wenn Sie die Güte haben
wollten, in
Ihren Büchern nachsehen zu lassen, ob 500
Exemplare der Levana
schon abgesetzt geworden, von welcher vor 2 Jahren, wie Sie
mich in
St[uttgart]
versicherten, über 400 verkauft waren. Sie werden sich
101,30
unsers Vertrags (S. meine Briefe vom 22ten Dez. 1811 und vom
10ten Jul. 1812) über die Vorschule
und über die Levana erinnern, daß
ich nach den 3 Ld’or für den Bogen
noch Einen nach dem Verkaufe von
500 Exemplaren erhalten
soll; und für die Vorschule haben Sie auch
diesen Ld’or längst berichtigt.101,35
Noch könnt’ ich Ihnen die zweite Auflage des lange vergriffnen und
mir wieder zugefallnen Katzenbergers zum Verlage anbieten; ich will
aber dieses Anbieten so lange verschieben, bis ich Ihnen
zugleich einen102,1
ganz neuen Verlagartikel, der aller Ihrer
Bereitwilligkeit werth sein
soll, in die Hand zu geben habe.
— Leben Sie wohl und grüßen Sie recht
meine Stuttgarter
Freunde und besonders Ihre Gattin.
Jean Paul Fr. Richter
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Johann Friedrich Freiherr Cotta von Cottendorf. Bayreuth, 2. März 1821. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_152
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Cotta-Archiv. 4 S. 8°. Präsentat: Empf. 8ten März, [beantw.] 16ten, 20ten [!]. K (von Emmas Hand): An Cott. d. 2ten März. J: Cotta 2,522×. 100,27 mir] aus mich H jährlich] aus immer H 29 den Planeten] aus dem Planet H ein poetischer hoffender] aus einen politischen hoffenden H 101,5 da] aus wo H 27 verleihen] aus geben H 28 nachsehen] aus nachschlagen H 34 sollte K 102,3 recht] alle K
100,23 Müllner war bis 1816 Advokat in Weißenfels. 30 Die österreichischen Truppen waren nach Neapel in Marsch gesetzt worden zur Unterdrückung der dort ausgebrochenen Revolution; vgl. 66, 27f. 32f. Einer unserer größten Gelehrten: Thiersch? Köppen? Wolke (vgl. Nr. 184)? 35 Ein berühmter Philolog: wohl Heinrich Voß. 101, 8–12 Cotta hatte in der Tat im Vertrage mit Müllner sich des Rechts auf eignes Abändern in den Rezensionen begeben, s. Cotta 2,523, Note 57. 13 Jena’schen: vielmehr Hallischen, s. 93, 32. 17f. Köppens Rezension: Münchner Literaturzeitung, 6. März 1821, Nr. 19. 26–35 Nach Karolinens Brief an Max v. 26. März 1821 erhielt J. P. am 24. von Cotta 900 fl. Nachzahlung auf die 2. Auflage der Levana.