Von Jean Paul an Elisa von der Recke. Bayreuth, 29. September 1821.
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Verzeihen Sie die Verzögerung des Danks; durch diese antwortet
jetzo ein Schmerz dem andern; der beraubten Schwester der
beraubte
Vater; denn mein achtzehnjähriger einziger Sohn
ist in dieser Woche
gestorben und mit ihm meine schönere Erdenzukunft
eingesargt. —136,20
So sah ich denn hier an Einem Abende an Einem Tische zwei Bald
Sterbende neben einander im Gasthofe,
die himmlische Theodora neben
dem Prinzen Biron. Auf ihrem sonst
so nachblühenden Angesicht fand ich
sogar bei der Lichtverschönerung ihre nahe Grabschrift
lesbar. Aber ihr
Leben — dieß sei der Trost der edeln
Schwester — war ein langer Früh136,25
ling voll ausgetheilter und empfangner Maitage, ein sanfter Gang durch
einen immerblühenden Garten und das Grab war nur das Haha
eines
Parks, das die unbegränzten Gefilde mit den
begränzten verknüpft.
Und in ihrer letzten Stunde hatte sie
noch die gesegnete Hand einer
Schwester zum sanftesten
Hinwegbegleiten aus dem Leben in der136,30
erkaltenden
Hand. Verehrteste Frau Gräfin! Sie tröstet am schönsten
Ihr
letztes Beistehen; und glauben Sie, Ihre fromme und christlich-
kraftvolle Gegenwart war noch warmer
Sonnenschein für die letzten
kalten Stunden des Lebens; denn
was die rauhe Sprache Todeskampf
nennt — der nur ein äußeres
ungefühltes Muskelzucken ist — schließet das136,35
innere
seelige Zerfließen nicht aus, womit sich die Seelen vom Leben137,1
lösen und welches so oft seine Spuren als Verklärung auf den Gesichtern
edel Hingeschiedener hinterläßt.
Verzeihen Sie meinem Schmerze über den Verlust eines besten
Sohnes die Unregelmäßigkeit dieses Blattes. Gott, der immer als
137,5
leitender Stern in Ihrer Seele ist, sei jetzo auch als
erquickende Sonne
darin. Mit höchster Verehrung
Jean Paul Fr. Richter
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Elisa von der Recke. Bayreuth, 29. September 1821. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_212
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
K (nach Nr. 213): Gräfin v. d. Recke 29. Sept. * J: Dresdner Morgenzeitung, 17. Sept. 1827, Nr. 249. i 1: Wahrheit 8,296. i 2: O. Clemen, Beiträge zur deutschen Kulturgeschichte aus Riga, Reval und Mietau (1919), S. 120 (nach einer in Rigaischem Privatbesitz befindlichen alten Kopie). A: IV. Abt., VIII, Nr. 131. 136,19 18jähriger Sohn, der einzige i 2 21 an2] und i 2 22 Theodora] Dorothea i 1 23 nachblühenden] noch blühenden i 2 27 war] fehlt i 2 Haha] offne Portal i 1, Thor i 2 28 bekränzten i 1 29 Ihrer J hatte] so i 1 i 2, hat J 30 Hinweggeleiten i 1 35 äußeres] fehlt i 2 137,3 edler i 1 Geschiedener i 2 5 Blattes] Briefes i 1 immer] fehlt i 2 7 Mit höchster Verehrung] fehlt i 2 9 Fr.] fehlt i 2
Elisa hatte J. P. den am 20. Aug. 1821 in Löbichau erfolgten Tod ihrer Schwester, der Herzogin Dorothea von Kurland, angezeigt. Diese war Ende Okt. 1820 in Bayreuth gewesen (s. 74, 7) in Begleitung ihres Neffen, des Prinzen Gustav Calixter Biron, der am 20. Juni 1821 gestorben war. 136, 27 Haha: vgl. I. Abt., XIII, 561, Anm. zu 403, 36f.