Von Jean Paul an Caroline Richter. Nürnberg, 7. September 〈Sonntag〉 1823.
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Geliebte! Morgen werd’ ich deine Antwort auf meine erhalten.
Von hieraus schreib ich denn zum letzten male. Mittwoch Abends bin
ich in Erlangen. Schicke also den
Kutscher — wo möglich den Dresdner
238,5
— so ab, daß er am Mittwoch um 6 Uhr abends im goldnen
Wallfisch
zu Erlangen ankommt; damit ich
Donnerstag abends wieder in deinen
Armen bin. Sende mir ja
für 1 Tag kein Essen mit, höchstens 1 Krug
rothen Wein. Aus
deinem Nicht-Antworten, wenn ich von deinem
Hieherkommen
sprach, und aus einigen Winken Emmas, wie du das
238,10
Haus nicht verlassen möchtest, — wozu jetzo vollends
der Jammer Hofs
noch kommt — erleichterte ich mir die Abänderung des
Rückkehrplans.
Hast du außer der Leinwand noch etwas
Besonderes einzukaufen —
z. B. einige bestimmte Steingut —
so schicke morgen abends den
Brief
ab, der dann mit dem Postwagen Mittwochs früh hier anlangt.238,15
Durch die ökonomische Frau meines trefflichen Osterhausens kann
ich alles aufs Beste besorgen lassen. Am Donnerstage abends
mache mir
blos meine Pflaumen, keine Fleischspeisen. Alles
Unangenehme packe
in deinen letzten Brief, damit
[ich] es unter dem Heimfahren verdaue.
—
Die Schönheit der Nürnberger Lustörter besteht in ihrer Nähe und
238,20
in der Dauer des Genusses bis um 12 Uhr unter dem
Sternenhimmel.
Vorgestern war ich im Hahnenbergzwinger
mit meinem Doktor recht
vergnügt. Eine Menge Gelehrte und andere ließen sich mir
vorstellen,
die mich liebten. So gestern bei dem Thée der
Frau von Schaden aus
München, wo mehr adelige Gesellschaft war. Ich habe alle
Namen
238,25
ver[g]essen. Warte nur auf das Mündliche.
Ich habe hier so viele
Freunde 〈Leser〉 — Freundinnen
weniger, weil die hiesige weibliche
Ausbildung wirklich
nicht einmal die baireuter erreicht — als an andern
Orten; aber die Nürnberger haben weder Feuer, noch
Auszeichnung.
Sogar ihr Museum ist nicht halb so belebt als die Baireuter
Harmonie.
238,30
Das gemeine Volk erquickt mich durch seine
Ehrlichkeit und liebreiche
Treuherzigkeit.
Könntest du mir doch etwas Anderes oder Bestimmteres oder Besseres
vorschlagen, was ich den lieben Kindern mitzubringen! — Dir
kann
ich durchaus nichts mitbringen als was du zu kaufen
vorschlägst, wie238,35
Leinwand u.s.w.
Noch immer lodern die grausenhaften Flammen des vertilgten Hofs
239,1
vor mir, die leider bis zu Otto und
bis nach München hinüberschlagen.
Wenn man an sich einzelnen bei einem solchen Jammer denken
darf —
aber man darfs, da ja die Noth doch nirgend wohnen
kann als in allen
einzelnen —: so denk’ ich daran, daß mir
nun zum zweiten male alle239,5
Baustätten meiner Jugend und
Vergangenheit abgebrannt sind, in
Schwarzenbach und in Hof,
und ich habe nun nichts mehr, wenn ich
dahin komme, zum Wiedersehen und Erinnern; die Jugend ist
zweimal
vergangen. Wollen wir uns einander recht lieben,
meine Karoline;
das Leben ist so kurz, so wechselnd, so
baufällig! — Seid recht gegrüßt,239,10
meine lieben Kinder!
Grüße alle deine Freundinnen warm (und Otto)
von der edeln Welden an!
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Caroline Richter. Nürnberg, 7. September 〈Sonntag〉 1823. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_394
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Goethe- u. Schiller-Archiv. 2½ S. 4º; 4. S. Adr.: Frau Legazionräthin Richter, Baireut. Wird empfohlen. (Bläuliches Papier.) J 1: Wahrheit 8,331×. J 2: Nerrlich Nr. 204×. A: IV. Abt., VIII, Nr. 264. 238,13 schicke] davor gestr. schreibe am 239, 2 hinüberschlagen] aus herüberschlagen 4 allen] aus den
238,10 Hof war am 4. September 1823 von einer furchtbaren Feuersbrunst heimgesucht worden, durch die u. a. auch Christoph und Renate Otto in München in Mitleidenschaft gezogen wurden. 239, 7 Schwarzenbach war am 19. Okt. 1810 großenteils abgebrannt.