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Korrespondenz

Von Jean Paul an Caroline Richter. Regensburg, 28. Mai 1820.

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Regensburg d. 28ten Mai 1820
31,32

Meine gute Karoline! Nach 4 Uhr kam ich (von Amberg aus um
5¼ Uhr) hier an, so gut sind des Kutschers Pferde und er. Ein Soldat ist
ein herrlicher Kutscher. Meiner ist höflich, bedachtsam, vorsorgend,32,1
stets heiter und wo Ham einen Durchfall in Gesicht und Ton bekäme,
singt er. — Gestern war in Amberg noch Kirchweihe; und der schöne
〈glänzende〉 „Wittelsbacher Hof“ noch überfüllt; ich logierte daher, auf
Wittelsbachische Empfehlung, weit davon im „Türken“, wo freilich alles32,5
schlecht und ärmlich war, aber durch die große Zeche doch ein gewisses
Ansehen bekam. Ich ließ daher, wegen der Entfernung und halb ver
drießlich, den Brief der Fr. v. Lochner nur übergeben. Mein jetziger
Aufenthalt im schwarzen Bären ist vortrefflich. — Der Kutscher pries
gestern mein stündliches Wettererrathen. Für heute hatt’ ich ihm noch32,10
schöneres Wetter zugesagt. Am Morgen mußten wir beide unsere
Mäntel anziehen, weil es unaufhörlich regnete bis beinahe jetzo, wo ich
(im Trocknen seßhaft) mehr Blau sehe. Also gerade die schönste Zeit
und Stelle meiner Reise, worauf ich mich so lange spitzte, wurde mir von
den Wolken grau versalzen; auf dem herrlichen weiten Halbkreis von32,15
Bergen (vor Schwandorf), den ich seit Jahren im Kopfe glänzen sah,
standen die Regenwolken und an ihm hingen die großen Nebelflocken
und Dämpfe als Propheten fortdauernder Einweichung. Was mich
jedoch freuet, ist daß ich gewiß weiß, daß in München, wo keine schöne
Natur zu sehen ist, dafür der Himmel desto schöner und blauer darüber32,20
schweben wird. Gewöhnlich bestell ich den Reisewagen ein Paar Minu
ten vor Regengüssen; und zwar darum, weil ich meine Abreisen immer
einen Monat voraus vorkrähe — dießmal gar 2 Monate — und weil
die Kinder mich an jedem schönen Tage erinnern und martern mit
der Frage, warum ich nicht abreise. So ging ich denn dieses mal vor32,25
lauter Jammer über das Treiben, wie der Pudel, ins Wasser. Da
du wünschtest, daß ich dir lieber gar nichts von Weibern schreiben
soll: so hab’ ich kaum das Herz, dir zu sagen, daß mir unter ein
Paar Hunderten bei dem Hereinfahren nicht ein einziges erträgliches
Gesicht vorgekommen. Find’ ich aber künftig ein schönes: so kann32,30
ich dirs wol leichter sagen. Jetzo geh ich zu Westerholt.

... Ich bin wieder zurück. Ich hatte eine herrliche Andachtstunde
mit ihm über Primas und seine Freunde, Gleichen u. a. Ein edles aus-
gearbeitetes Gesicht und ein Kopf voll Gluth mit einem weinenden
Auge! — Alle Seinige waren über Land und er hatte nicht viel Zeit;32,35
aber die Stunde war mir genug.


Ich bin gesund und für alle Menschen heiter genug — Meinen Ver33,1
ehrer Bissel in Amberg hab ich nicht aufgesucht; auch hier keine Zeit zu
einem Besuche bei Posch gehabt, da dieser Brief sie nimmt. — Die
Frösche soll Odilie nie in die Sonne stellen — dem neuesten viele Fliegen
geben — die Dinte umrühren — die Blumenstöcke alle 3 Tage begießen,33,5
aber die beiden von Miedel auf dem Schreibschrank gar nicht — Franzö-
sisch hingegen und Singen treibe sie wenigstens halb so eifrig wie Emma
und diese es ganz so eifrig wie jene — — Verrücke mir ja keine Bücher
durch unnützes Abstäuben; denn im July — nach Endigung des
„Kometen“ — bin ich ein freier Mann und bringe alles in Ordnung 33,10
und alle Bücher in neue Stellungen. Leider begingest du unter dem Ein
packen 2 Fehler; das dicke, aber kleinste Fläschchen wollt’ ich für gewisse
Fälle des Durstes zu mir stecken; und die Flasche mit Rosoglio hast du
gar wieder die Treppe hinaufgeschickt.


Ich wollte dir doch etwas sogleich von mir melden, da ich nicht weiß,33,15
auf welchen Umwegen erst der Kutscher Münchner Briefe dir zubringt.
Grüße die Otto’s und Emanuel’s; dieser warf mir noch aus dem Fenster
einen Abschied zu. Grüße meine Welden. Lebe froh, geliebtes Weib!


Richter

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Caroline Richter. Regensburg, 28. Mai 1820. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_53


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 8. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1955. Briefnr.: 53. Seite(n): 31-33 (Brieftext) und 337 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 3 S. 4°; 4. S. Adr.: Frau Legazionräthin Richter, Baireut. J 1: Wahrheit 8,241×. J 2: Nerrlich Nr. 188×. A: IV. Abt., VIII, Nr. 36. 31,34 des Kutschers] aus seine 32,5 Wittelsbarische 11 schöneres] davor gestr. stärker 13 seßhaft] aus sitze u. 17 ihm] aus ihnen 27 wünschtest] aus wünschest

Angekommen 1. Juni. 32, 8 Brief der Lochner: wohl an eine ihrer Töchter, aber nicht an Lueretia, die in München war, s. 35, 11. 16 Schwandorf: vgl. Bd. VII, Nr. 212, 78, 30. 31 Westerholt: vgl. Bd. VII, Nr. 212, 80, 25†. 33 Gleichen: der in Regensburg gestorbene Diplomat Karl Heinrich von Gleichen (1733—1807), dessen Memoiren Westerhold 1813 herausgegeben hatte, s. Allg. D. Biogr. 49,381. 33, 2 Bissel: s. IV. Abt. (Br. an J. P.), VII, Nr. 127. 3 Posch: s. Bd. VII, Nr. 215. 6 Schreibschrank: Campesche Verdeutschung von Sekretair.