Von Jean Paul an Karl Schellhorn. Bayreuth, 12. März 1815.
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Ich werde Ihre Post-Hoffnung so oft getäuscht haben, bis Sie
endlich dann keine mehr hatten, da sie erfüllt wurde. So wenig Zeit
mir zu Briefen bleibt, so gewinnt mir doch die Erinnerung an
meine15,5
einsamen Jünglingjahre Briefe an Jünglinge ab,
welche durch ihre
innere Aufmunterung äußere verdienen wie
Sie.
Dichtend nehmen Sie die Welt in sich auf; nur aber gehört noch
dazu, daß Sie sie dichtend aus sich herausstellen.
Am meisten — um mit der Sonnenseite anzufangen — gelangen15,10
Ihnen die Elegien und Epigramme, worunter ich die Elegie
Seite 222
am höchsten auszeichne, dann auch die Seite 230 bis
232, 238 und
239; — darauf die Romanzen und Balladen,
worunter die auf
S. 187 die trefflichste, dann S. 202 und
„die Nachtfahrt“ S. 171,
— Schwächer sind die Lieder; doch
ist „der Bergmann“, Seite 106,15,15
kräftig, dann Seite 21,
116, 109, 6, 123, 96 (letztes nach einigen
Verkürzungen).
Einem Briefe und meinem Zeitmangel ist keine motivierte
Kritik möglich. Kürzen Sie künftig Ihre Lieder mehr ab —
denn
ein ewiges ist Prose — ringen Sie bei Ihrer
Korrektheit, bei Ihrem15,20
dichterischen Sinne und Ihrer
Verskunst nach noch größerer Ge
danken-
und Bilderfülle — und ahmen Sie nicht Einem nach (Göthe),
sondern allen großen Dichtern, weil eine allseitige
Nachahmung
alles Schönen zur Selberständigkeit reift — und
leben Sie dadurch
für die Dichtkunst, daß Sie auch für das
Leben leben und für die15,25
Wissenschaften, welche beide
die unscheinbaren, bedeckten, schweren
Wurzeln der leichten
bunten Blüten der Dichtkunst sind; so wird das
Schicksal
künftig Ihre Dichtkunst eben so belohnen, wie jetzo Sie
der
Genuß derselben.
Dieß sind meine herzlichsten Wünsche für Sie und Ihr Leben!15,30
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Karl Schellhorn. Bayreuth, 12. März 1815. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VII_39
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
K: Schellhorn in Saalfeld 12 März. (Gestr. Überschrift Schellhorn d. Jenn. schon nach Nr. 6.) *J: Gedichte von Karl Schellhorn, 2. verm. Aufl., Halle 1837, S. XXVII. i: Denkw. 3, 276. 15,3 Post-Hoffnung] so K, feste Hoffnung J bis bis 4 wurde] aus daß Sie zuletzt gar keine mehr hatten, bis sie endlich hier auf diesem Blatte doch erfüllt wurde K 5 so bis 7 Sie.] zuerst so schreib ich doch zuweilen einen solchen wie dieser, weil ich mich meiner einsamen Jünglingjahre erinnere und weiß, wie süß und kraftvoll mir damals ein einziges aufmunterndes, ja nur mildes Wort gewesen wäre. Daher sollen Sie eines haben. K 20 Prose] so K, Prosa J 26 die bis 27 sind] so K, aus unscheinbaren, bedeckten, schwarzen Wurzeln die bunten Blüten der Dichtkunst fördern J 28 Sie] so K, fehlt J
Karl Schellhorn, geb. 1789 in Stadt Ilm, gest. 21. Nov. 1815, hatte seine dichterischen Versuche an Jean Paul geschickt mit der Bitte um Beurteilung derselben sowie seiner Begabung überhaupt. Die 1. Auflage seiner stark von Goethe beeinflußten Gedichte erschien 1814 auf Kosten des Verfassers (Goedeke VII, 579 u. 870). Die Seitenzahlen dieses Druckes stimmen aber nicht mit den von J. P. angegebenen überein; „die Nachtfahrt“ steht S. 137—139, „der Bergmann“ S. 47 bis 49. Die hier unbetitelten Gedichte lassen sich daher nicht identifizieren.