Von Jean Paul an Caroline Richter. Frankfurt a. M., 30. Mai (sonnabends) 1818.
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Meine gute Karoline! Heute bekam ich schon deinen Mittwochs
Brief. Du wirst meinen Bamberger und meinen Aschaffenburger
189,15
auch haben. Gestern Mittags kam ich unter dem
kältesten Wolken
wetter in der großen
prächtigen Stadt an. Der ihm ähnliche
Kutscher hat mich
ordentlich auf einige Tage erkältet. Ich wohne
im größten Gasthofe (zum weissen Schwan) drei Stockwerke
oder
6 lange Treppen hoch, weil ich mit meinem Einspänner nicht
Glanz189,20
genug warf; es ist ordentlich eine kleine
Stadt, die Mittagtafel
mit 40 Menschen besetzt; mir aber gar
nicht gemüthlich. Das
Mittagessen 1 fl., der Lehnbediente
täglich 1 rtl., 1 Tag Wohnung
1 fl., die Maß Porterbier 24
kr. — Heute wollt’ ich zu einem
Schneider ziehen, was aber
bei ihm nicht ging. Jetzo, da einige189,25
meinen Namen
wissen, sorgt alles für eine Wohnung, und ich werde
wol eine
nehmen müssen, die man mir umsonst gibt. Gestern war
ich bei
dem noch immer alten jugendlichen Wangenheim zu Thée
und Essen und wurde in seinem Wagen nach Hause gebracht,
weil
er so weit abwohnt. Heute abends ists derselbe Fall.
Nun wird189,30
mich das Gewühl drücken, wie anfangs die
Einsamkeit. Ich wollte,
ich säße bald wieder bequem neben
den Vogeleiern. Eine große Stadt
erschwert den Genuß oder
Besuch der Menschen und Gegenden zu
sehr. Unter Wegs hab ich
am rechten Ohre eine ganze graue Locke
bekommen und am
linken grauet es auch. Nicht dem mich mehr als189,35
sich
bekümmernden Kutscher, sondern der Kälte oder auch der Mütze
190,1
verdank’ ich diesen Naturpuder. — Sollte mir auf meiner
Reise
einmal dicker Rahm vorkommen oder erträglicher
Kaffee, will ich
dirs sogleich melden. — Die Theuerung treibt
mich schon nach
14 Tagen fort. — Die Adresse an mich bleibt
vor der Hand dieselbe.190,5
— Auf deine Gesundheit wurde bei
Wangenheim getrunken und die
Frau erinnerte sich deiner liebend. — Max soll nur in den
Prima-
ner- und Kreuzerklub eintreten und
zeigen, daß er etwas ist. — Ich
hätte dir gestern durch den
Kutscher geschrieben, wenn das lebhafte
feurige Schaf nicht zu bald fortgeritten wäre. — Jetzt wäre
die190,10
rechte Zeit, wo ich meinen alten blauen Pelz
wieder nützen könnte.
Schreibe mir euer Wetter. —
— — Wieder gestört, obwol durch Quartiermeister! —
Sei nur recht froh! Die Stelle in deinem Briefe, wo du von
alten mir verborgnen Schmerzen sprachst, that mir sehr wehe.190,15
Könnt’ ich nur solche Täuschungen verhüten! Ich bin ja nicht
blos
der Alte, sondern der noch Bessere! Halte dich ewig
an dieses Wort
fest. Leb wol!
Die gute Odilie soll ja recht Acht geben. —
190,20
Briefe ohne bedeutenden Inhalt sende mir nicht, sondern nur
deren Extrakt.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Caroline Richter. Frankfurt a. M., 30. Mai (sonnabends) 1818. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VII_412
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Goethe- u. Schiller-Archiv. 3 S. 4°; 4. S. Adr.: Frau Legazionräthin Richter, Baireut. (Poststempel: Frankfurt 1. Juny.) J 1: Wahrheit 8, 141×. J 2: Nerrlich Nr. 152×. B: IV. Abt., VII, Nr. 114. A: IV. Abt., VII, Nr. 119. 189,20 lange] aus hohe 25 bei ihm] nachtr. Jetzo] aus Jetzt 34 ganze] nachtr. 190,10 bald] aus früh
Angekommen 4. Juni. 189, 34f. graue Locke: vgl. 187, 11f. 190, 14—18 Karoline hatte geschrieben, die Furcht, Jean Pauls Liebe zu verlieren, habe ihr seit ¾ Jahren (also seit seiner Reise nach Heidelberg) alle Ruhe und sogar nachts den Schlaf geraubt. 20 Odilie sollte auf die Vögel achtgeben, s. 189, 32, 194, 9f. und 203,35 .