Von Jean Paul an Franz Xaver Reichel. Bayreuth, 9. September 1818.
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Ihren Brief hab’ ich mit reinmenschlicher Freude über Ihre Liebe230,20
und über Ihre Ansichten und Kräfte gelesen; — und nur
deßhalb
beantwort’ ich ihn, denn sonst lassen mich die
Menge von Briefen
und die Armuth an Zeit gewöhnlich
schweigen.
Sie scheinen meinen ästhetischen Wirkkreis mit meinem politischen
konzentrisch zu finden. Aber dieses ist auch bei dem besten
Willen230,25
nicht der Fall, ich habe noch wenig für
andere durch andere thun
können; und mußt’ es immer selber
thun.
Aber auch sogar wenn Sie sich mit Ihrem (fast unbestimmt aus
gedrückten) Wunsche einer Anstellung an einen Geschäftmann
von
wirklichem Einflusse gewandt hätten: so würde er doch
nicht ihn haben230,30
erfüllen können, bei dem Überflusse
inländischer Mitbewerber und
bei den übrigen
Schwierigkeiten, welche durch die Entfernung und
durch die
Unbekanntschaft entstehen. Unbegreiflich ist, wie Talente,
die in Wien nicht so häufig sein können, in einer weiten Kaiserstadt
231,1
keinen Spielraum finden sollen.
Jetzo hab’ ich meine, für mich halb traurige Pflicht erfüllt, da
ich ungern ein Nein ausspreche, wiewol ichs hier mehr im
fremden
Namen thue. Vertrauen Sie aber auf dieselbe
Vorsehung, die Sie231,5
bei äußerer Armuth so sehr von innen
bereichert hat, und welche
Ihnen gewiß auch noch die kleinern Gaben schenken wird, wenn
Sie
nicht selber ihre Hand im Geben stören.
Leben Sie froh und froher!
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Franz Xaver Reichel. Bayreuth, 9. September 1818. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VII_458
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
K (von 230, 22 lassen ab von Emmas Hand): Franz Xav. Reichel in Wien 9ten Sept. i: Wahrheit 8, 268 (ohne Datum). B: IV. Abt., VII, Nr. 145.
Reichel, aus Graz gebürtig, 30 Jahr alt, ledig, hatte in einem ziemlich schwülstigen Briefe seine traurige Lage geschildert: arm, verkannt, ohne Verbindungen, habe er sich vergeblich um eine Lehr- kanzel in Wien bemüht und sich als Informator und Hauslehrer durchgefristet. Er wünscht sich in Jean Pauls Nähe, damit dieser seine (Reichels) Kenntnisse und Kräfte „wirksam mache“.