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Korrespondenz

Von Jean Paul an Caroline Richter. Bayreuth, 3. Dezember 1819 bis 4. Dezember 1819.

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318,7
Baireut d. 3ten Dec. 1819

Meine geliebte Karoline! Deine 2 Briefe sind angekommen und
haben die erste Angst verjagt. Ich sehnte mich nach dir nicht eher als318,10
bis du — die Thüre zugemacht, nach deinen so herzlichen Worten des
Abschieds. Der ganze Tag und jede Kälte quälte mich, weil ich dich
in deiner Einsamkeit unter dem freien Himmel dachte. Die rechte
Ruhe hab’ ich erst jetzt, da ich dich bei deiner Schwester und unter
lauter Freunden weiß, welche dein ewiges Aufopfern mäßigen werden.318,15
Meine Geliebte, sogar dieß mußte mich bewegen, daß du am arbeit
vollen Tage vor deiner Abreise noch Kaffée für die Zurückge
bliebnen gebrannt. Kinder spüren doch den Schmerz der Entfernung
nicht so wie Gatten — dieß seh’ ich. Emma und Odilie finden
leichtern Ersatz als ich; zumal da ichs ihnen froher ergehen lasse318,20
als sonst. Aber dir, meine gute Seele, muß ich für etwas danken,
was ich vorher kaum zur Hälfte voraussetzte, daß du nämlich unsre
Emma zu einer wackern Hausfrau ausgebildet. Ihr Kochen und
Kaufen — ihre Besonnenheit — ihre strenge Aufsicht über die immer
vergessende, obgleich doch nicht verschlimmerte Magd — sogar ihr 318,25
Ordnunggeist in Schlüsseln und überall — dieß ist dein Werk,
du Gute; und ich bin nun nicht mehr über ihre Zukunft bekümmert.
Ihr bisheriger Schein des Gegentheils entstand aber blos daher,
weil sie nicht die Ehre und Macht der ganzen Besorgung gehabt;
sondern nur theilweise und spielend mitwirken konnte. Sie und318,30
Odilie leben freundlich, obgleich Odilie nicht in den glücklichen Fall
geräth, ähnliche Verdienste zu erwerben. Das Übrige des Haus
haltens und Hausverlassens, was eben zu ihrer Belohnung gehört,319,1
werden sie dir schon selber erzählen; und ich danke Gott, daß [ich]
dieses mal nicht so wie auf meinen Reisen, zu dem mir so unleidlichen
Erzählen von mir selber oder andern verurtheilt bin. —

4 ten Dec.
319,5

Da die fahrende Post 10 Tage braucht und die Geschenke für die
Kinder den 21ten ankommen müssen: so eile Ende künftiger Woche
damit. Was und wem aber hab’ ich noch besonders zu geben?
Z. B. dem Zeichenlehrer. — Ich danke dem guten Julius für den
Katalog, wovon ich die mir erwünschten Bücher ausgezeichnet und 319,10
die mir doppelt lieben roth angestrichen. Indeß steh’ ich, wenn ich
und Minna in Einem Wunsche zusammentreffen, gern mit meinem
zurück. — Noch hat die Kälte uns alle gesund gelassen. — Betty
Sch[ubaert]
reiset nach dem Neujahre zurück; der Vater hört’ es
freudig, als ich ihm die Frage über euere gemeinschaftliche Zurück319,15
reise vorlegte, und versprach sogar Pferde nach Schleitz zu schicken.
Frage sie doch selber. — Über Schwabachers Papiere frage ja
vorher einen Berliner Geschäftmann, damit deine Güte nicht dein
Schade werde. — Schreibe uns den Empfangtag der Briefe. —
Bitte die edle Ompteda um Verzeihung meines von Arbeiten ab- 319,20
gezwungnen Schweigens; die schönste Antwort hat sie ja doch in
der Hand, nämlich dich. — Einsiedler bin ich jetzo mehr als jemal,
thue aber nichts dagegen, sondern denke, bei deiner Rückkehr bin ich
doch keiner mehr, wenn ich auch zu Hause bleibe. — Möchtest du nur
recht viele Freuden haben! Nur leider gehen sie auch alle in Trauer319,25
kleidung, da du sie immer aus wehmüthiger Vergangenheit holen
mußt, und noch dazu mit dem Gefühle, daß auch sie bald wieder
Vergangenheit werden. Hier erst kannst du dich reiner freuen, und
dann sogar auf eine Zukunft mit deiner geliebten Henriette. Sei
froh, meine Geliebte!319,30


Richter

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Zitierhinweis

Von Jean Paul an Caroline Richter. Bayreuth, 3. Dezember 1819 bis 4. Dezember 1819. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VII_603


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Textgrundlage
D: Jean Pauls sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 7. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1954. Briefnr.: 608. Seite(n): 318-319 (Brieftext) und 449-450 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 6 S. 8°; von Karoline überschrieben: 1. Brief. J 1: Wahrheit 8, 228×. J 2: Nerrlich Nr. 181×. B: IV. Abt., VII, Nr. 230 und 231. A: IV. Abt., VII, Nr. 237. 318,10 verjagt] davor gestr. genommen 19 Gatten] aus Eltern 29 gehabt] aus hatte 32 geräth] aus kommt erwerben] aus haben 319,10 wovon] aus worin ausgezeichnet] aus roth bezeichnet 23 bin] aus hör’

Angekommen 11. Dez. Karoline war zunächst zu ihrer Schwester Minna nach Dresden gereist. 319, 9—11 Julius Spazier, Minnas ältester Sohn, hatte einen Katalog der Bibliothek des verst. Mayer geschickt. 13f. Betty Schubaert: Tochter des Generals in Meyernberg, s. Bd. VI, Nr. 967, 415, 21†. 17—19 Schwabacher, Richters Hauswirt, hatte Karoline um eine Kommission in Berlin gebeten. 20 Ompteda: s. Nr. 612†. 22—24 Einsiedler: Karoline hatte geschrieben: „Laß Dich nur herab, mehr die Menschen zu sehen, die zu mir kamen. Gewiß wirst Du ihnen alsdann mehr Wohlwollen schenken, und die Freude, die Du ihnen machst, wird auch auf Dich reflektiren.“ 29 Zukunft mit Henriette: J. P. dachte wohl, daß Karoline einmal nach seinem Tode zu ihrer Stiefmutter nach Berlin ziehen würde; Karoline schreibt aber (8. Jan. 1820), Henriette sei im täglichen Verkehr unerträglich durch Heftigkeit und Streitsucht; „Gott behüte uns ewig vor einem Zusammenleben.“