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Von Jean Paul an Caroline Richter. Erlangen, 16. Juni 1811 bis 18. Juni, Um 11 Uhr.

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201,1
Erlangen d. 16. Jun. 〈Sonntags〉 1811

Ich will, geliebtes Weib, ein Bischen an dich schreiben, ob ich
gleich nichts zu beantworten habe. So ungern ich in Bayreuth
schreibe, so gern schreib’ ich an dich. Gestern war ich in Nürnberg 201,5
mit dem Hofmeister des Grafen Rothenhahn und mit dem Buch-
händler Walther. Über alles gefiel mir der südliche frohe herzige
Ton des Volks. Ich sah Schweigger, die Sebalds Kirche, das
prächtige Museum, den kindlichen Schubert (aber natürlich nicht
den Egoisten Kanne) und die gute Monts. Sie reiset mit mir zu 201,10
halben Kosten Freitags nach — Bayreuth. Sie liebt dich recht
treu. Also Freitags kommen wir. Auch bin ich zu dieser Verkürzung
(???) meines hiesigen Aufenthalts schon dadurch gezwungen, daß
ich an Schrag meinen Fibel verhandelte, der zur Michaelis
Messe heraus sein muß. Schreibe daher, Liebe, jeden Tag 4 Seiten201,15
ab. — Mir wird alles schön und neu erscheinen. Auch bin ich doch
dann des Jammers los, daß ich an schönen Tagen nicht wieder
ins Weite begehre. (Meinen Brief vom 14 Jun. oder Freitag
wirst du erhalten haben) — Ich verspreche mir ein schönes warmes
Zusammenleben, das sich aber nicht auf bloße so kurz nachhaltige201,20
Empfindungen bauen soll — wiewol ich diesen gern ihre süße
Allmacht gönnen will so lange sie dauert — sondern auf meine hel
len Vorsätze und Gründe. Ich kann nach einem recht hell ein-
gesehnen Grundsatze sehr lange handeln; du kennst nur darin mein
Inneres nicht. Die Liebe gegen dich ist und war mir immer Be201,25
dürfnis, und über die Unterbrechung derselben trösteten mich Kinder
und Bücher nie ganz. Wenn ich bedenke, wie du so mütterlich gegen
die Kinder, so arbeitsam, still, genügsam, uneigennützig, so edel
müthig gegen Fremde bist: so sollt’ ich dir nicht etwan einige Ab
weichungen von meinem Haushaltungs-Plane nachsehen — denn201,30
dieß that ich längst — sondern ich sollte (was freilich am schwersten
ist) einige Worte gegen mich als Mensch und Mann, die ich auf
der Erde zum ersten male an mich gerichtet höre, nicht anders
bis zu einem gewissen Grade nehmen als mütterliche oder väterliche202,1
Hart-Worte gegen die lieben Kinder zu nehmen sind, die man zu
weilen in der Eile ausstößt, indeß man diese doch fortliebt. — Und
so will ich denn auch Vergangnes nehmen und mich für dein Kind
ansehen, das du doch gern hast. — Wir beide könnten wirklich das202,5
seeligste Erdenleben führen, wenn wir nun das Seelige weniger
durch Empfindung, die so leicht zu stören ist, als durch moralische
Vernunft festzuhalten suchten. — Eben spielt jetzt die Nürnberger
Theater-Truppe zum ersten male, aber die briefliche Einsamkeit
dieser Stunde gibt mir mehr Genuß. — Morgen werd’ ich zur202,10
Dobeneck und vielleicht zur Marggräfin gehen. —

d. 17. Jun.Montags

Morgen erst will ich mich entscheiden, ob ich der Gräfin den
Freitag oder den Sonnabend zur Abreise ansage. (Morgen wird
hoff’ ich auch ein Blatt von dir ankommen) Wie gewöhnlich202,15
häufen sich immer Vergnügungen und Einladungen gerade gegen
die Abreise hin an, wozu hier noch Bücher kommen. Heute war
ich bei der trefflichen Dobeneck, welche mich durch ihre Anmuth,
Bonhommie, Unbefangenheit und selber durch die liebliche Gestalt
so erfreuet hat, daß michs reuete, sie erst so spät besucht zu haben.202,20
Morgen werd’ ich die Marggräfin sehen. — Heute bin ich beim
Kirchenrath Ammon zum Thée und Abendessen; Donnerstags bei
Walther in einem Gartenkonzert voll Damen. Auch Schubert
kommt Donnerstags hieher. Dieß und ähnliches verschiebt wahr
scheinlich meine Abreise bis Sonnabends, aber auch keine Stunde202,25
länger. — Hier muß man für einen guten Wagen nach Bayreuth
16 fl. geben 35; der Gräfin wegen hab’ ich (und durch Toussaint)
bis zu 12½ fl. (kein Futter hab’ ich zu bezahlen) herab gehandelt. —


Der hiesige Buchhändler Bräuning sagte mir, daß er in Leipzig
keine Levana mehr bekommen können und daß ihm Vieweg selber 202,30
gesagt, sie sei vergriffen. So werd’ ich denn an diesen zögernden
Dieb sogleich in Bayreuth eine Anweisung auf die noch nachzu-
zahlenden Louisd’or (für jeden Bogen Einen L.) abgeben. Sag’
es Otto. Denn ist das ganze Werk vergriffen, so hätt’ er mir 203,1
schon vor 1 Jahre die kontrahierte Nachzahlung leisten müssen. —
Jetzt da ich in Nürnberg war, ist mir das wolwollende Erlangen
eine alte Stadt geworden, so daß es mich immer heftiger nach
Bayreuth hindrängt. — Auf der folgenden Seite werd’ ich mit 203,5
dir erfahren, wann ich abfahre.


d. 18. Jun. 〈Dienstags〉

Am Sonnabend nach acht Uhr bin ich bei meiner lieben Karoline.
Heute um 7 Uhr (nämlich jetzt am Morgen) lag schon dein letzter
Brief mit den beiden andern auf dem Tische. — Warum quälst203,10
du dich denn so, liebe Seele, indeß ich hier blos froh bin? Du hast
alles recht gemacht. Lasse nur dein Kanapée auch machen für deine
viele Hausmühe. — Mein freitägiger Brief, den du am Sonntage
bekommen haben wirst, wird die Nebel zertheilet haben, die um dein
gutes Auge hingen. Kannst du denn nicht errathen und festhalten,203,15
wie ich dich liebe? Glaubst du denn gar keinem Worte und Zeichen?
Desto weher thaten mir die Stellen deines Briefs, wo du meine jetzige
Heiterkeit ganz falsch auslegst. Du könntest eben so gut schließen,
ich wäre nur glücklich, weil ich meine Kinder nicht um mich hätte.
— Eben läßt mich die Marggräfin zum Mittags Essen laden. — 203,20

Um 11 Uhr

Voriges schrieb ich nach 7 Uhr; denn ob ich gleich gestern bei
Ammon Rack-Thée, dann Bier, dann fast 1 Bouteille Wein ge-
trunken und um 12½ Uhr zu Bette gegangen: war ich doch am
Morgen gesund und zum Briefschreiben frisch. — Ich will lieber203,25
jetzt endigen und fortschicken, weil ich nicht weiß, wenn ich von der
Fürstin zurück komme. — Wie hätt’ ich hier so heiter sein können,
wenn ich nicht fromm gewesen wäre und dich nicht geliebt hätte? —
Grüße Emanuel und Otto; wegen des Budget des letztern will ich
Meusel fragen. — Von den Erlangerinnen weiß ich noch nichts 203,30
Sonderliches zu sagen. „Was gibts hier für ausgezeichnete
Weiber?“ fragte ich Mehmel; seine einfache blöde Tochter (sehr
der Rosalie ähnlich) fing gerade zu darüber zu lachen an; — dieß
war Antwort genug. — Ich freue mich auf deinen morgenden Brief,
er wird gewiß froher sein. So lebe denn wol, du gutes Herz, bis203,35
ich an deinen Lippen hänge.


R.

An Jacobi will ich schreiben.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Caroline Richter. Erlangen, 16. Juni 1811 bis 18. Juni, Um 11 Uhr. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VI_494


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 495. Seite(n): 201-203 (Brieftext) und 512 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 8 S. 8°. J 1: Wahrheit 7, 252× (der Schluß irrig aus Nr. 493). J 2: Nerrlich Nr. 132 u. 133 (ein Stück irrig aus Nr. 493). B: IV. Abt., VI, Nr. 161. A: IV. Abt., VI, Nr. 163. 201,15 heraus] aus fertig 18 begehre] aus will 23 Gründe] aus Betrachtungen 26 Unterbrechung] aus Entbehrung 202,1 bis zu einem gewissen Grade] nachtr. 3 indeß] aus indem 6 Seelige] aus Schöne 203,4 eine] davor gestr. wieder 6 wann] aus wenn 10 quälst] davor gestr. ängstig 19 wäre] aus würde weil] aus wenn 26 jetzt] aus hier

201,6 Hofmeister des Grafen Rothenhahn: Dr. Brendel, s. Nr. 519†. 8 Schweigger war 1811 von Bayreuth an die Nürnberger Realschule berufen worden. 23 Vorsätze und Gründe: vgl. die „Via recti“ in Fasz. 10 und Wahrheit 7, 228ff. 202, 11 Luise Henriette von Dobeneck (1769—1832), die Schwester von Jean Pauls Bayreuther Freund (Nr. 397), damals Hofdame der Markgräfin; Karoline hatte am 10. Juni gefragt, ob er sie nicht besucht habe. 203, 9ff. Karoline hatte — mit Rücksicht auf 200, 19—22 — gebeichtet, sie habe ohne Jean Pauls Erlaubnis eine notwendige Stubenreparatur vornehmen lassen und möchte auch ihr Kanapee noch herrichten lassen. Aus seinen frohen Briefen ersehe sie, wie ihn sein häusliches Leben unglück lich gemacht habe; das erfülle sie mit unüberwindlichem Kummer, und sie wisse keine Rettung als ihren Tod. 30 Erlangerinnen: Karoline hatte sich nach diesen erkundigt: „Verliebst Du Dich nicht in Eine? Bist Du treu? Ich traue Dir nicht ganz, aber ich kann auch keine Ansprüche machen.“ 33 Rosalie: von Völderndorff. 37 Jacobi: Karoline hatte berichtet, Knippenberg sei bei ihr gewesen und wünsche, daß Jean Paul seinetwegen an Jacobi schreibe; vgl. Nr. 499.