Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Bayreuth, 19. September 1806.
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Ich habe alles erhalten, auch deine beiden Briefe, wovon mir der
erste das hier zurückfolgende Manuskript versprach und durch Er
warten desselben meine Antwort verschob.
Habe Herzens-Dank für
deine Gabe und Erinnerung an mich, für
dieß Stück alter Zeit. Diese
mir zugeflatterten Blüten aus
deinem Eden beweisen mir freilich105,10
ein größeres Genießen
deines Lebens als die bloße Dichtkunst gibt —
und dieß that
mir in deine Seele hinein wol; — indeß seh’ ich dich doch
in
Einseitigkeit Eines Gefühls oder Gedankens — da auch der
größte nicht den Menschen erschöpft oder erfüllt — eingesenkt, wo
gegen ich dir äußere Thätigkeit — oder
Menschenhören — oder105,15
ganz entgegengesetzte
Wissenschaften rathen möchte. Denn deine
Blätter sind die
einer einsamen Laube. Ich find’ es nicht gut. Der
Mensch ist
aller Kräfte und Umgebungen, welche der Himmel wie
die
einander einschränkenden Welten-Anziehungen, um ihn ver
sammelt hat, benöthigt, um sich im Gleichgewichte zu
erhalten.105,20
Für den Druck derselben ist weder die jetzige Kriegs- und Handels
zeit günstig, noch sind sie selber, in
diesen unverknüpften Formen ge
sammelt, auf
der rechten Stelle des Einwirkens. Ganz anders und besser
würde aber jeder einzelne Aufsatz treffen, wenn du ihn einsam in
irgend eine Zeitschrift stelltest. Nur schäme dich des Freimüthigen;
105,25
dieser hat keinen würdigen Boden für dich.
Eigentlich gab mir der annahende Krieg die Frage auf, ob ich
dir nicht selber deine Blätter wiederbringen könnte. Und dieß
entschuldigt wieder mein Zögern.
Wahrscheinlich sehen wir uns doch bald. Wer wird dann von uns105,30
beiden sich am meisten verändert haben? — Wahrscheinlich ich.
—
Um unveränderlich zu bleiben, müßte man das Beste sein;
und da
ist mir nur Ein Mann der Art
bekannt im sämmtlichen Uni
versum.
Einmal wirst du doch meine drei verschieden blühenden Kinder
105,35
erblicken, worunter der Junge zwischen zwei Mädchen
als ein guter
Knospen-Ast sich ausstreckt; für Schwere ist er schwer
empor106,1
zuheben, da er schon in ihren Orden
hineingewachsen.
Es gehe dir recht und wol! Dieß ist mein innigster Wunsch. Grüße
deine Gattin herzlich, deren du so beglückt in deinen Blättern
gedenkst.106,5
J. P. F. Richter
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Bayreuth, 19. September 1806. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=V_244
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Berlin JP. 3½ S. 8°. K: Fr. Oert. 19 Sept. J: Denkw. 1,397. B: IV. Abt., V, Nr. 100. 105, 13f. der größte] das Größte K 14 oder erfüllt] aus und ausfüllt H 18 ist] aus braucht H 22f. gesammelt] nachtr. H 31 sich .. verändert haben] .. verändert sein K 32 bleiben] aus sein H 106, 1f. emporzuheben] aus aufzuheben H
Oertel hatte geschrieben: „Ich habe ..., seit ich nichts mehr für das Publikum schrieb, für das Himmlische, das Bessere und Edlere der Menschheit allerlei — nicht geschrieben, sondern empfunden, das sich von selbst aufs Papier ergossen hat. Diese ächten reinen Ebullitionen des warmen Herzens hab’ ich bestimmt, weil mein Name keinen Credit im Publikum hat, unter Deiner Firma an dieses zu adressieren.“ Vgl. FB Nr. 44.