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Korrespondenz

Von Jean Paul an Emilie von Berlepsch. Leipzig, 17. November 1797 bis 19. November 1797.

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Leipzig d. 17 Nov. 97.

Mein Ihnen so unähnlicher Ort und Ihr Ihnen so gleicher Brief machen, daß ich eine ¼ Stunde nach seinem Empfang mit der überquellenden Seele, womit ich oft in den Stunden des schaffenden Enthusiasmus mich auf den Klaviertasten ausströme, für den empfangnen die Feder suche. O meine geliebte Emilie! wie sehr lern’ ich Sie immer mehr lieben! Ach ohne das Herz meines Oertels — oder unsers Oertels, denn er kent Sie nun durch mich und Sie — hätt’ ich Ihres nicht so lang entbehren können. Emilie, wie wil ich dich lieben, wie seelig werd’ ich an deinem Auge weinen, wie werden wir immer schöner und höher unsere Herz[en] an einander bewegen! Um es zu wissen, wie man eine Seele liebt, mus man sich die Hofnung des Wiedersehens wegträumen und dan die Hand auf den beraubten Busen legen und ihn fragen, ob er nicht breche — ich habe mich schon gefragt, Emilie — — und doch würd’ ich im Frühling noch grössere Schmerzen haben, denn ich hätte noch grössere Liebe. Jede Empfindung hält sich zwar für gränzenlos, aber die Erinnerung sagt ihr oder mir das was sie (es wäre sonst Widerspruch) nicht fühlen kan, daß sie wachsen werde.

Sie wissen, daß ich so oft die Wortsprache über die Körpersprache seze; aber doch fühl’ ich — und in dieser Minute — daß jene die Sehnsucht nach dieser nicht nimt sondern mehrt, daß aber diese beinahe jene entbehren wil, wenn der Mensch an der Seite und an den Augen und an den Herzen und an den Lippen seiner geliebten Seele ist. Ach wie viel gäb ich für eine Stunde Ihrer Gegenwart nach dieser Stunde!

Sontags den 19 Nov.

Ihre mehr gute als wahre Meinung von mir wird mich besser machen und jeden Monat sollen Sie weniger irren. —

Meine ganze Seele hatte Schmerzen über den rechtschaffenen S. Er vermengt freilich seinen Körper mit seiner Seele; aber die Ein bildung der Schwäche ist zugleich Tochter und Mutter der Schwäche. Nur Freuden (und weniger Geschäfte) heilen ihn; und wer giebt ihm jene als eine unzertrenliche Freundin? Aber sie mus geistig-schwächer und körperlich-stärker als er sein und nicht die Heilung bedürfen, die sie geben sol. Eine genialische und eine kränkliche zugleich scheint in der Nähe wie in der Ferne die Schmerzen zugleich zu vermehren und zu theilen.

— Oertels Mon répos in Belgershain besucht’ ich: froher kan man nicht wohnen und nicht leben. Das Herz seiner Frau zertheilt sich in 2 Stücke, in Liebe und in Bescheidenheit. — Er und Sie haben frappant-ähnliche Grundtöne, mit denen sie mit einander ewig harmonieren müssen. —

Wie wollen Sie gesund bleiben unter dem tiefen langen Nagen scharfer Leiden? An dem Berge Ihres Geistes können nur die geistigen Wolken, nicht die körperlichen schmelzen.

Das Buch von der Herder hab’ ich erhalten.

So innig mich die heilig-zarte Empfindung erquikt, die Ihnen das Verbrennen der 4 Bogen befahl: so sehr fühl ich schmerzlich, daß eben eine Seele, die diese Opfer ihrem eignen Werthe bringt, sie nicht zu bringen nöthig hat. Nach fremden Briefen frag’ ich dabei nichts, nur nach Ihren Antworten darauf.

Ich habe hier — wegen meiner Arbeiten — noch wenige Geselschaften und noch keinen ½ Ersaz der Geliebten in Hof; doch hör’ ich wenigstens im Konzerte und in 2 gutmüthigen Familien innere Wohl laute.

Nein, Emilie, keine Blume wird unter uns zum Distelkopfe werden, sondern die Blüten werden blos — Früchten weichen.

Schreiben Sie recht bald und recht viel!

Und komm’ auch bald, du geliebte Seele! Und gieb dem November meiner Seele wieder Sterne und Morgenroth!


Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Emilie von Berlepsch. Leipzig, 17. November 1797 bis 19. November 1797. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_10


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959. Briefnr.: 10. Seite(n): 9-10 (Brieftext) und 389 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: DLA, Marbach. 6½ S. 8°. K 1: Berlepsch 17 Nov. K 2 (nachtr. im Frühjahr 1799, s. zu Nr. 143a) ohne Überschrift. J: Berlepsch Nr. 5. i 1 (nach K 1): Denkw. 2,113 × (14. Nov. 1797). i 2 (nach K 2): Denkw. 2,123 (Weimar, Mai 1799, mit Nr. 273 vereinigt). 9,28 sondern mehrt] nachtr. H 31 eine] aus die H 33 von mir] nachtr. H 10,11 mit1] aus bei H mit2] nachtr. H 14 An bis 15 schmelzen.] mit Blei gestr. K 1 17 heilig-zarte] davor gestr. zarte H 26 zum] aus zur H werden] nachtr. H 28 viel] davor gestr. früh H 30 meiner] aus der H

9,35 ff. Wahrscheinlich Stapfer, vgl. 46, 24 †. 10, 16 Buch von der Herder: die Auswahl aus des Teufels Papieren, s. IV. Abt. (Br. an J. P.), III.1, Nr. 1. 24 zwei Familien: Feind und Platner(?).