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Korrespondenz

Von Jean Paul an Christian Otto. Weimar, 27. Januar 1799 bis 5. Februar 1799.

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Weimar d. 27 Jenn. 99.

Mein geliebter Otto! Dein 3 Tage nach dem Datum anlangender Doppel Brief an 2 Brüder war der schönsten Seele vol, für mich frische noch bethauete Blumenblätter aus Eden.

Aber beantworten wil ich ihn unten; ich vergesse sonst meine Zeitungsartikel. Du wirst nicht eher ein Autor als bis ichs so mache: du samlest deine 3 fachen horas, poetische, satirische und historische Stücke oder Anfänge, ich schaffe den Verleger und eine — Vorrede von mir dazu. Diese sol [dir] als der Kammerdiener vorauslaufen und die Flügelthür aufmachen. Dein Stolz kan nicht mehr dagegen einwenden als meiner gegen einen Kommerzienraths Titel — und doch kauf ich mir noch einen, wenn man mir keinen schenkt. Der Titel sol nicht meine Verdienste repräsentieren, sondern präsentieren. — Im Frühling säh ich bei dir dein Werk mit Brillen und Mikroskopen durch u. s. f. — Sei vernünftig!

Lies Adele de Senange und den diable amoureux; zumal jene her liche.

Ich hatte seit 3 Tagen — gerade nach dem Ende meines Buchs, wo ich meinen Tod In Karolinens Brief sagt’ ich einen andern Tag; aber Chronologen, die [mic]h hier vereinigen wollen, dürfen [nu]r bedenken, daß ich vieles 2mal mache beschrieb — troz der Muskulargesundheit starken Nervenschwindel; [ich] habe mich geheilt. Es kam vom Wetterglas — Arbeiten — Weintrinken und Disputieren abends. Noch in keinem Jahr strit und trank ich so viel. Mit Schiller neulich bis um 12 Uhr Nachts; und mit ihm und Göthe bei der Kalb. Ich bin jezt keker als je, blos durch das Errathen des fremden Haltens von mir, nicht durch mein eignes. Göthen sagt ich etwas über das hiesige Tragische, Böttiger, alles lobend, lobte mich auch darüber, „wir denken alle dasselbe, aber es hats ihm noch keiner gesagt“. worüber er empfindlich ¼ Stunde den Teller drehte (ich hatte Cham pagner und einen Vulkan im Kopf) Aber Wieland — der wieder da war und dessen Gegenwart mich durch das Simultaneum der Einladung alzeit aufzehrt — sagte, „so wärs recht und ich gew[änne] ihn da„durch — wir w[ürden] noch die besten Freunde — [er] hat mit „Respekt von [mir] gesprochen.“ Als ich [zu] einem Diner bei Göthe geladen war Schiller zu Ehren, nebst Herder und andern, der ihm aber nicht ein Ölblat, geschweige einen Oelzweig des Friedens, den Göthe gern schlösse, reichte — wurd’ ich und Herder zu Göthes Einfassung gemacht, ich der linke Rahmen und er der rechte; hier sagte mir Göthe, der nur almählig warm werden wil — so ist er gegen Schiller so kalt wie gegen jeden —: „er habe seinen Werther 10 Jahre nach dessen „Schöpfung nicht gelesen; und so alles: wer wird sich gern eines „vorübergegangnen Affekts, des Zorns, der Liebe etc. erinnern?“ Und so ekelt Herder auch vor seinen Werken. So etwas solte [den] Selbst Gözendienern von Litteratoren und Rektoren gesagt werden, damit sie, wenn solche Männer demüthig sind, wenigstens — nichts wären. Ich schämte mich vor ihnen, nicht so zu sein, sagte ihnen aber auch, daß mir meine Sachen zwar sogleich nach dem Abdruk ungemein gefielen — ich kente keine bessere Lektüre —, aber auch vor demselben desto schlechter, weil ich da das Ideal noch nicht vergessen hätte.

Wie sehr meine Weltkentnisse und Einsichten in Weimar zunehmen ist nicht zu sagen, aber zu beweisen durch Thaten (opera).

Schiller — der ganz den Sprachton Wernleins und in der Ferne sogar dessen Physiognomie hat, die nur in der Nähe wieder sich wie beide unterscheidet — nähert sich sehr der Titanide und sagte schon 3 mal zu ihr: wir müssen mit einander nach Paris. (Hier ist alles revoluzionnär-kühn und Gattinnen gelten nichts. Wieland nimt im Frühling, um aufzuleben, seine erste Geliebte, die La Roche ins Haus und die Titanide stelte seiner Frau den Nuzen vor) Schiller achtet unendlich den fürchterlichen Retif de la Bretonne, wovon du etwas gelesen und der das höllisch- und himlisch-geschriebne Buch le coeur humain devoilé gemacht; und wil ihn zu sehen hin. Humbold aus Paris schrieb ihm, dieser Gott-Teufel sehe wie — ich; und Sch., der mich ganz gelesen, findet unter uns nur den Unterschied der Erziehung; und darum sucht und liebt er mich jezt. Ich habe alles von der Titanide. Indessen merk’ ich von jenem Suchen nichts.

Ach du erfährst überal nur 1 13 weil keine Zeit da ist. Aber im Lenz! — Frühling sag ich ungern, weil das Wort mehr Zeit wegnimt.

So viel ist gewis, eine geistigere und grössere Revoluzion als die politische, und nur eben so mörderisch wie diese, schlägt im Herz der Welt. Daher ist das Amt eines Schriftstellers, der ein anderes Herz hat, jezt so nöthig und braucht so viel Behutsamkeit. Ich nehme in meine Brust keine Veränderungen auf, aber desto mehr in mein Gehirn; nur dieses hat in Weimar Irthümer abzulegen.

d. 2 Febr.

Ich sende dir das ⅓ meines Buchs Die andern ⅓ sind kräftiger, wechselnder und lustiger: Hof wirst du in Kuhschnappel finden., die Konjektural-Autobio graphie Hätt’ ich irgend etwas schon anderswo gesagt, so streichs weg. . Solte dir etwas dich betreffendes misfallen: so streich’ es weg, wiewohl ich hoffe, du bist eben so kühn als ich. Du schikst es samt dem Briefgen nach 10, 12 Tagen a dato des Empfangs an den Buchhändler Heinsius in Gera, ders splendid drucken wil. Mit Feind brach ich um den ½ Ld’or 〈oder vielme[h]r, er, weil ichs nicht that〉, den er von 3½ gefoderten abhandeln wolte. Ich habe alzeit gut gegen diese Leute gehandelt; und Sie ist mir noch 200 rtl. schuldig, die ich ihr ohne Zinsen auf ein ¼ Jahr geliehen. —

Der Brief des Rendanten ist gar zu dum — Mein anderer Bruder in Anspach verlangte blos ein Darlehn von 400 fl. von mir, um zu heirathen und gegen mich zu fallieren. — Dem Samuel schikt ich 17 Laubtl.; jezt bleibt er aber. Allein ich wolte, er studierte nicht; er hat keine Seele für das Wissen an sich, sondern nur für das Fixum dafür. Könt’ er denn nicht ein Schreiber werden? Weist du keinen Rath? Ja köntest du ihn nicht selber sehen und untersuchen und seine Wünsche ändern? — Ich schäme mich meiner Verwandschaft.

Hier zum Spasse Göthes Handschrift. — Herder sagte mir, daß er mich zu einem Kollaborator an der Erfurter Zeitung einladen solle. In diesem Ernst würd’ (oder werd’) ich mich so ausnehmen als in einem rothen Prorektorsmantel. — Ich habe jezt die Mittagsseite des Wein- oder Musenbergs; ich lese den Homer und die Tragiker mit einer namenlosen Wonne. Sophokles ist (Shakesp. ausgenommen) ein Siebengestirn (auch hat er nur 7 Stücke) und die Neuern sind Nebelsternlein. — Der 2te Theil des Wallensteins ist mit grosser Pracht (über 400 rtl. neue Kleider, weil alles ächt war) abgespielt, er ist vortreflich, passabel und langweilig und falsch. Die schönste Sprache — kräftige poetische Stellen — einige gute Szenen — keine Karaktere — keine fortströmende Handlung — oft ein dramatisierter Zopf oder Essig — 3faches Interesse — und kein Schlus. Der dritte noch nicht fertige Theil ist der Schwanz am Rükgrat des 2ten; es sind nicht einmal jene zusammengewachsene Zwillingsschwestern in Ungarn. Herder geht heute hinein und wird gewis meiner Meinung, wie ers überal ist; ich kan dir nicht sagen, wie ich ihn mit meinem Griechen-Lob erfreuete, wie er mir immer die Hand und die Stirne berührte aus Liebe.

— Die Titanide hat an ihren Schwager, den Präsidenten in Man heim geschrieben wegen der Scheidung. Sie sprach mit einer Gräfin Bernsstorf, ohne den Man zu nennen, über eine hiesige reiche Eng länderin Gore, die sie ihm zudenkt. Er und sie werden es annehmen. Hier sind Sitten im Spiel, die ich dir nur mündlich malen kan. — Ich beharre fest auf meinem Stand; auch ist ihr die Scheidung ohne alles weitere schon erwünscht, zumal da er mit einem neuen Ris die copula carnalis ganz zerrissen. Sie nahm, weil ihre Phantasie ihr nichts von der Unveränderlichkeit der Berlepsch giebt, ihre Neujahrs Resignazion schon oft und heftig zurük; — die glühenden Briefe werden dir einmal unbegreiflich machen, wie ich mein Nein ohne Orkane wiederholen konte. Aber es geht leicht, da ich sie ganz kenne; ich mus ihr nur nicht schreiben, sondern sprechen. Im Lenz! — Müst’ ich ihr freilich auf einmal den Namen einer Geliebten ansagen — leider weis ich keinen — so thäte sich ein Fegfeuer auf. —

d. 5 Feb.

Sei so gut und bescheinige mir bald den Empfang des Mspt. und beurtheil’ es. — Die Brüning schrieb noch nicht; ist sie krank, die Gute? — Die Kalb wil bei dem Präsidenten, der kommen wird und der so viel bei Hardenberg gilt wie sie bei jenem, viel für dich sprechen. — Sie hatte einmal ein Blat an Amöne geschrieben, sie stat an den Hof zu sich einzuladen; aber das müssen wir beide erst sehr überlegen. — Deinen Brief mus ich ein anders mal beantworten. Leb wohl Geliebter!

[ am Rande ] : Ich werde immer dicker.

Qu. Nicht wahr, du, meinen Altenburger Schuldschein kan ich durch Zession überal ins Geld sezen, in Berlin und Reussen [?] und Preussen?

d. 8ten Feb. abgegangen. — Verzeihe die Marginalien dem langen Liegenbleiben des Briefs.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Christian Otto. Weimar, 27. Januar 1799 bis 5. Februar 1799. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_203


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959. Briefnr.: 206. Seite(n): 150-154 (Brieftext) und 443-444 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 12 S. 8° (Anfang defekt). K (nach Nr. 199): Otto d. 27 Jenn. bis 5 Feb. 9 ab. J 1: Otto 3,23×. J 2: Nord u. Süd XLVI (1888), S. 369×. J 3: Nerrlich Nr. 52×. B: IV. Abt., III.1, Nr. 126. A: IV. Abt., III.1, Nr. 139. 150, 22 27] aus 25[?] H 24 Doppel] nachtr. H 30 von mir] nachtr. H; der folgende Satz z. T. aus K ergänzt, da H defekt 31 aufmachen] öfnen K 34 repräsentieren] aus machen H 151,1 bei dir] nachtr. H 10 Nachts] aus nachts oder umgekehrt H 19 und andern] nachtr. H 20f. den Göthe gern schlösse] nachtr. H 32 kennte aus kenne H 152,4 in der Nähe] nachtr. H 7 nimt] aus bekomt H 11 höllisch-] aus fürchterlich H 16 nachtr. H Indessen] aus indeß H 18 das Wort] aus er H 19 und grössere] nachtr. H 28 es bis 29 Empfangs] aus nach 10 Tagen H 31 nicht] nichts H 33 Die andern ⅓] aus Das ⅔ H 153,13 als] wie K 17 Neuern] aus neuern H 21 poetische] nachtr. H 22 fortströmende] nachtr. H oft] nachtr. H 23f. noch nicht fertige] nachtr. H 25 zusammengewachsene] verbundene K 35 mit einem neuen Ris] aus durch einen neuen Ris in H 154,1 und heftig] nachtr. H 17 Reussen] Seussen H (vgl. I. Abt., XIII, 50,20)

Angekommen 19. Februar. Otto hatte anscheinend seinem Briefe an Jean Paul einen an Samuel (in Abschrift) beigelegt, vgl. 145, 20 f. 151, 3 „Adèle de Senange ou Lettres de Lord Sydenham“, Roman von der Gräfin Souza, 1794 (deutsch von Huber 1795); vgl. IV. Abt. (Br. an J. P.), III.1, Nr. 127. 9f. Mit Schiller war Jean Paul am 13. Jan. 1799 bei Wolzogens, mit ihm und Goethe am 21. Jan. bei der Kalb. 12 das hiesige Tragische: vgl. 156, 35 . 18 Das Diner bei Goethe fand am 16. Januar 1799 statt. 30–33 Vgl. Bd. II, 179, 16–21. 152, 9 –15 Rétif de la Bretonnes Selbstbiographie „Monsieur Nicolas, ou le coeur humain dévoilé“ erschien 1794 bis 1797 in 16 Bänden; vgl. Persönl. 242,1ff. Humboldts Brief an Schiller v. 5. Sept. 1798 s. Neue Briefe W. v. Humboldts an Schiller, hgb. von Ebrard, Berlin 1911, S. 243; vgl. Schiller an Goethe, 21. Sept. 1798. 17f. Lenz: vgl. I. Abt., XI, 288,24f. 153, 3 f. Bruder in Ansbach: Adam; vgl. Nr. 383†. 6 Otto hatte geraten, Samuel nicht in Erlangen, sondern in Jena studieren zu lassen. 11 Goethes Handschrift: J 1 gibt an, es handle sich um einen von Goethe ausgefertigten Erlaubnisschein, Bücher aus der Weimarer Bibliothek zu entleihen; dieser war jedoch vom 9. März 1799 datiert, s. IV. Abt. (Br. an J. P.), III.1, Nr. 151. Vielleicht war es die Einladung zum Diner vom 16. Januar ( 151, 18 f.). 18 Die erste Aufführung der Piccolomini war am 30. Januar, die zweite am 2. Februar. 22f. Johann Heinrich Zopf, „Erläuterte Grundlegung der Universalhistorie“, Halle 1729, und Johann Gottfried Essich, „Kurze Einleitung zur allgemeinen weltlichen Historie“, Stuttgart 1728, zwei oft aufgelegte Geschichtsbücher. 25 Zwillingsschwestern in Ungarn: vgl. I. Abt., VIII, 245,17f. 29 Schwager der Kalb: s. Bd. II, zu Nr. 337. 30f. Charitas Emilie von Bernstorff, geb. von Buchwald (1732—1820), Witwe des dänischen Staatsmannes Johann Hartwig Ernst Graf B., lebte seit 1779 in Weimar. 32 Der seit 1791 in Weimar lebende Engländer Charles Gore hatte zwei Töchter; für die ältere interessierte sich der Herzog Karl August.