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Korrespondenz

Von Jean Paul an Paul Emile Thieriot. Weimar, 8. März 1799.

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Weimar d. 8 März 99 [Freitag].
163,11

Lieber Thieriot! Mit Freude las ich Ihr Paquet. Man glaubt,
Owen habe Sie übersezt, aber mit einigem Verlust des Salzes.
Böttiger gefiel es; er gabs am Sontage Wieland, von dem ich jezt
nichts weiter weis, weil ich ihn in Osmanstaedt im Winter selten 163,15
besuche. — Nur Ihre Jagd nach zu kleinen Aehnlichkeiten oder doch
Ihr Unterstreichen derselben, z. B. Vorfahrer müssen Sie mässigen,
und die Länge der Perioden. Ihre Laune gewint täglich mehr. — Warum
machen Sie keine moralische etc. Aufsäze stat der litterarischen? —

Meine Briefe und Konjekturalbiographie kommen bei Heinsius 163,20
heraus, dessen Suppliken um den 3ten Theil der Palingenesien ich
dadurch abwehrte. — Meine Seele glüht wieder über dem Titan,
für welchen mich ordentlich das Schiksal durch mein Leben zu erziehen
scheint; und jedes verzögernde Jahr ist ein erziehendes gewesen. Der
Plan sol fester und weiter und verschränkter werden als irgend ein163,25
deutscher. — Gleichwohl stör’ ich mich immer z. B. durch einen Aufsaz
für das Jakobische Taschenbuch — meinem neuen Freunde, Friedr.
Jakobi 〈Woldemar〉 zu Liebe — und durch einen historischen über die
hohe Corday für den Berlin[er] historischen Kalender.

In diesem nordischen Winter wurde mein Geist in Jonien und 163,30
Attika erquikt; ich meine ich las mit einer Wonne, wovon Ihnen
Herder erzählen könte, die Odyssee, die Ilias, den Sophokles,
etwas vom Euripides und Aeschylus. Die unterstrichnen ergriffen
mich fast bei den Nerven; nach den lezten Gesängen der Ilias und dem
Ödip zu Kolonos kan man nichts mehr lesen als Shakespear oder 163,35

Goethe. Sie wirken schön auf meinen Titan, aber nicht als Väter 164,1
sondern als Lehrer, nicht als plastische Formen dieser Pflanze sondern
als reifende Sonnen. — Leben Sie froh, mein Guter! Ich könte Ihnen
so lange erzählen als ein episches Gedicht zum Lesen Zeit nehmen sol,
nämlich 24 Stunden.164,5


Richter

N B Studieren Sie nie Nachts.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Paul Emile Thieriot. Weimar, 8. März 1799. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_222


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959. Briefnr.: 225. Seite(n): 163-164 (Brieftext) und 447-448 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin Varnh. 213 (derzeit BJK). 3 S. 8°; auf der 4. S. Adr.: Herrn Paul Thieriot d. E. K: Thieriot 8 März. J 1: Wahrheit 6,78×. J 2: Denkw. 1,407. B: IV. Abt., III.1, Nr. 140 und 141. A: IV. Abt., III.1, Nr. 170. 163,14 am Sontage] nachtr. H 15 in Osmanstaedt] nachtr. H 24 zögernde K 34 leztern H 164,3 reifende] nachtr. H

Thieriot hatte einen Aufsatz mit verdeutschten Epigrammen des neulateinischen englischen Dichters John Owen geschickt mit der Bitte, denselben, von etwaigen Auswüchsen gereinigt, dem Deutschen Merkur zu empfehlen. (Er ist nicht erschienen, vgl. Nr. 357.) 164, 4 f. Vgl. I. Abt., XI, 232, 20 †.