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Korrespondenz

Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Weimar, 6. April 1799 bis 11. April 1799.

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Weimar d. 6 Apr. 99 .

Guter Oertel! Über unser Schweigen solten wir eigentlich selber eines beobachten; wir sind beide Sünder, aber du der grössere. Ich hatte freilich die Schuld einer Antwort zu bezahlen — wiewohl ein solches Gesandten-Alternieren weder vom Freunde streng, noch von einem ewigen Brief- und Bücherschreiber überhaupt gefodert werden solte —; aber warlich ich hätte diese schönste unter allen Schulden gern berichtigt, (ich fieng so oft an) wenn ich dir nicht hätte so viel zu erzählen gehabt; und ich hasse doch, sogar im Roman, alles Erzählen so sehr, sobald nicht durch die Einmischung von 10 000 Reflexionen und Einfällen die alte Geschichte für den Erzähler selber eine neue wird. Unter dem Schweigen schmerzte und ärgerte mich wieder deines; und noch mehr die Gewisheit, daß du einem Freunde, der dich so sehr geliebt, nie mehr schreiben würdest, wenn ich nicht vorher schriebe und dem Punkt der Ehre, (der dich oft zu strenge macht) genug thäte. —

Gieb mir die Hand, es sei vorbei!

Meine hiesige Universalhistorie kan ich dir nur auf einem Kanapée erzählen. Ich hatte z. B. mit der Frau hier, (aber NB sub rosa, und so alles andre) an die du in Hof schriebst, die B[erleps]chen Verhält nisse, sie wolte ihre Ehe trennen lassen und eine mit mir anfangen. Jezt hab’ ich alles sanft gelöset. — Ach ich wolt’ ich könt’ einmal den Menschen es sagen, was ich der Liebe oder der Hofnung der Liebe schon hingeopfert, Reichthum und Stand und Talent und selber die gefälligste Vorliebe für mich! —

In der beigelegten Antwort Jacobi’s bezieht sich etwas auf eine Stelle in meinem Briefe an ihn, wo ich ihm eine Monatsschrift gegen die jezige Philosophie vorschlage, worin die 3 Weisen, er, Herder und — da stets ein schwarzer dabei ist — ich Weihrauch dem Christus Kindlein brächten. — [ gestrichen: Jacobi besucht uns, auch weil ich mich so sehne.] (War ein Irthum von Fichte) Ich trachte ihn und Herder wieder zu verknüpfen; dieser legte ofne Briefe in meine ein.

Herder giebt mir seine Mspte (z. B. Metakritik) zu Noten; — un sere Seelen bleiben beisammen auf ewig. Im künftigen Jahrhundert schreiben wir eine Halbjahrsschrift Aurora, wovon Herder die An kündigung jezt drucken lässet; schicke dazu ein.

Leider zerstreu’ ich mich immer durch andere Arbeiten als die des Titans, dessen 1. Band volendet ist, und der Plan ganz. Über die Corday schreib ich im „historischen Kalender“; Jacobi gab ich auch.

Alle meine hiesigen vorigen Freunde sind noch jezige; und darunter gehört auch die Herzogin-Mutter. Mit Goethe wär’ ich näher, hätt’ ich ihm nicht einmal an einem Champagnerabend, wo Schiller dabei war, zu keke Säze gesagt. — Überhaupt bin ich jezt kek; bei Gott, was ist denn auf der Erde zu — verlieren?

Ich habe Amoene hierher zur Kalb gebracht. —

Mit Schiller strit ich oft bei der Wolzogen bis Nachts um 12 Uhr. Ich sehe dem Retif de la Bretonne gleich (nach einem Briefe Humbolds), sagt’ er der Kalb und die Erziehung sei unser Unter schied. —

Meine Seele ist trübe über das Leben, über das Jahrhundert und über mein leeres Herz — mein Auge ist trocken und mein Herz steif, ausser zu Hause an meinem Klavier und Tisch. Die Menschen haben mir nie viel gegeben; ich habe sie geliebt und liebe sie ewig, aber wie gesagt, sie gaben und geben mir nicht viel.

Mit der Herzogin und Ihm bin ich ganz ausser Verhältnis.

In Gotha fand ich so bunte weiche Bänder des Beisammen seins — und soviel Auszeichnung bei dem Herzog, dem Erbprinzen und dem Hofe — und was mehr ist, soviel holde Gestalten, daß ich nur die Blüten erwarte, um auf 4 Wochen dahin zu ziehen.

Wenn ich heirathe, bekomm’ ich einen glattern Globus als der jezige mit seinen stechenden Bergspizen ist.

— Du sagst stets, du hast nichts zu schreiben: warum und womit würdest 〈köntest〉 du mir auf jeden Brief eine Antwort geben? — Bei Gott, hätt ich eben nichts zu schreiben, so schrieb ich leichter.

Ich werde dicker und ansehnlicher; die Migraine komt gar nicht mehr; Leben sizt mir um die Nase.

Mit Wieland bleib ich der alte Freund.

Beiläufig! vernimst du die Gerüchte, daß ich dessen Tochter — Herders Tochter — Amoene — die Schroeder — des Konsistorialrath Weber’s Tochter eheliche oder aus Weimar ziehe: so sage: „der Kauz „hat mir noch nichts davon vermeldet; und darum zweifl’ ich ganz.“

d. 11 A.

Schicke mir die Briefe bald wieder. — Wie wil ich auf Klein Brief Oktav dir mein jeziges Herz aufspannen! Und eben diese Unmöglichkeit nebst meiner Zeit Momentanität legt mir die Hand auf den Mund.

Lebe wohl mein Oerthel! Ich sehne mich nach deiner Hand und nach deiner Geschichte und nach deinem Herz! Gieb mir alles; — und deiner Frau den wärmsten Grus und Kus eines Menschen, der nicht nur sie selber, sondern ihre schöne Liebe gegen dich so liebt. Leb wohl Starkopf!


Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Weimar, 6. April 1799 bis 11. April 1799. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_240


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959. Briefnr.: 243. Seite(n): 176-178 (Brieftext) und 452-453 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 8 S. 8°. K (nach Nr. 241): Oertel 6. Apr. J: Denkw. 1,373×. 176,31 hatte] aus habe H bezahlen] aus zahlen H 177,3 sobald] aus wenn es H 5 und ärgerte] nachtr. H 7 vorher schriebe und] nachtr. H 11 hier] nachtr. H 13 lassen] nachtr. H 19f. gegen die jezige Philosophie] nachtr. H 22 Kindlein] aus Kinde H 36 Erde zu verlieren als diese K 178, 2 f. die Parenthese nachtr. H 6 mein leeres] aus das leere H steif] aus fest H 7 und Tisch] nachtr. H 10 Ihm] aus ihm H 12 Auszeichnung] aus Liebe H 17 warum und womit] aus wie H 20 und ansehnlicher] nachtr. H 21 Leben bis Nase.] nachtr. H 24 Amoene —] nachtr. H 25 oder aus Weimar ziehe] nachtr. H

176, 31 Antwort: auf einen nicht erhaltenen Brief Oertels. 177, 12 Vgl. Bd. II, 245, Nr. 411. 14–17 Vgl. 140, 28 f. 18 Antwort Jacobis: an J.P. IV. Abt., III.1, Nr. 97. 27f. Die vom 22. Mai 1799 datierte Ankündigung der Aurora wurde erst posthum 1809 im 12. Bande von Herders Werken zur schönen Literatur und Kunst, S. 590, veröffentlicht; vgl. IV. Abt. (Br. an J.P.) , III.1, Nr. 169. 178, 12 Erbprinz: August Emil von Gotha (1772—1822); vgl. Persönl. Nr. 72. 24 Schroeder: Corona Schröter, die bereits 48 Jahr alt war! Georg Gottlieb Weber (1744—1801), Oberkonsistorialrat in Weimar; vgl. 247,33 .