Von Jean Paul an Christian Otto. Weimar, 22. August 1799.
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An dich.
Könt’ es sich denn herlicher treffen? — Am Sontag fahr’ ich mit
dem Graf v. Brühl nach Rudolstadt —
heute gebar die Doktor Herder
228,1
ein Mädgen zu unserer aller Freude — also fället das
Wochenbette
in meine Es-Ferien — heute gieng mein Titan nach Berlin — des
alten Herders Geburtstag ist am
Sontag — das Wetterglas springt
dem schönsten Wetter entgegen. Und weist du was ich geworden?
den228,5
15ten dies. bat mich
die Geheime Räthin v. Koppenfels zum Thee,
überreichte mir ein Dekret vom Herzog von Hildburghausen, das
mich zu nichts wenigerem erhebt als zu einem — Legazionsrath,
was
doch immer etwas ist. Das Diplom verlangt, daß ich „von
männiglich
„alle von diesem Karakter abhängende
Prärogativen und Personal228,10
„freiheiten geniessen solle.“ Ich kenne noch keine einzige von diesen
Personallizenzen und habe noch wenig davon genossen; mache
mich
damit bekant, damit ich darauf bestehe. Herder hatte die meiste Freude
darüber, besonders darum, weil man dem hiesigen Hof (den es
kränkt)
die Ehre nicht angethan, eine von ihm angenommen zu
haben.228,15
Die Rükkehr des Mspts, das du hast, wäre mir lieb gewesen; aber
du benüzest jede Gelegenheit des Schweigens. Daß die Brüningk nur
keine Flügel nehme sondern das Zusammenthun der meinigen
er
warte! —
Wir werden eine schöne Zeit an unsern Herzen zusammen verleben.228,20
Grüsse meinen Albrecht! Und dich!
Sieh wieder das sonderbare Schiksalsspiel; im Titan
macht’ ich
mich zu einem Legaten und Hafenreffer ist
wirkl[icher] Legazionsrath.
Indes änder’ ich darum nichts. — Ich bekomme so ein Stük
des228,25
bürgerlichen Lebens nach dem andern auf den
Leib. Vorgestern lies ich
mir Moralitätshosen (Unterhosen)
anmessen, weil ich bisher nicht
klug werden konte, warum
gerade meine Hosen so verdamt indezent
aussahen, ich
mocht’ es karten wie ich wolte, — niemand kan für Segen
—,
bis ich den D. fragte, der ein Wort zu seiner Zeit fallen
lies. Und
228,30
eine Woche vorher, eh’ ich das Wort fallen hören,
hatt’ ich mich
heftig gegen diese enge eitle Einhülsung
erklärt. So wird der Mensch
erzogen und geplagt. Addio!
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Christian Otto. Weimar, 22. August 1799. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_310
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Berlin JP. 4 S. 8°. K (nach Nr. 308): d. 22 Aug. Otto. J 1: Otto 3,156×. J 2: Nerrlich Nr. 67×. 227,35 An dich] davor (von fremder Hand?) 4 H 228, 3 f. des alten] nachtr. H 8 erhebt] aus erkläret H mit Legazionsrath beginnt eine neue Seite H 12 wenig] aus nichts H 13 bestehe] aus bestehen kan H 15 angenommen] aus empfangen H 18 nehme] aus nimt H 24 und bis Legazionsrath] nachtr. H 25 bekomme] aus ziehe H 26 den Leib] nachtr. H
Jean Paul reiste erst Montag, d. 26. August, ab, s. IV. Abt. (Br. an J. P.), III.2, Nr. 247. 228, 1 Wahrscheinlich Karl Friedrich Moritz Paul Graf Brühl (1772—1837), der spätere Berliner Theaterintendant. 2 Mädchen: Agnes, später verh. Aulhorn, gest. 20. Dez. 1877. 3 Eß-Ferien: vgl. 214, 9 f. 23f. Vgl. das Antrittsprogramm des Titan (I. Abt., VIII, 49ff.). 26ff. Vgl. Bd. II, 366, 26 .