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Korrespondenz

Von Jean Paul an Josephine von Sydow. Weimar, 18. November 1799 bis 18. Dezember 1799.

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W[eimar] d. 18 Nov. 99 .

Gute! Nur noch einmal können Sie mich so schön überraschen wie diesesmal — nämlich mit dem Original der Kopie. Hätt’ ich Ihrer Bescheidenheit weniger geglaubt, so wär’ ich durch diese Jugend und Schoenheit nur befriedigt, nicht überrascht worden. Ich möchte beinahe fragen, kan man denn jünger sein? — Ihre Gestalt ist wie die innere Schönheit, deren Einkleidung sie ist, so sehr ein Ganzes, daß ich auf den ersten Blik den Hals, die Mine, und die Beugung des Mundes, die ein Gallizismus ist, für die Aussteuer des Malers hielt. — Mit sanften Regungen liegt mein Blik auf dem holden Schatten der geliebten Seele, wenn ich auf dem Klaviere, neben dem er hängt, weichere Traeume um mein Herz versamle als ihm die karge Nacht zuschikt.

Jezt zur Antwort auf Ihren Brief! — Jeder Gedanke sagt es mir, daß vielleicht nie die Freundschaft schönere Rosenstunden zwei Seelen gab als unsere in Berlin finden werden. Ach, Theure, wir werden zu glüklich sein und dan zuviel verlieren, wenn wir weinend aus einander gehen! Denn eine Begleitung nach Pommern verbieten mir alle meine Verhaeltnisse durchaus, wenigstens in der nächsten Zeit. Ach mein naeherer Wunsch ist jezt nur der, Sie in Berlin zu sehen. Der Februar ist in einem gelinden wie in einem harten Winter ein eiserner fesselnder Monat, zumal für einen der auf der preussischen ofnen Extrapost sizt. Aber eines ist gewis, — und das hängt von keinem Februar ab — daß wir uns sehen im zukünftigen Jahr, sei es wenn es wil.

O meine Josephine! meine Schwester! ich werde dein Bruder sein und dir an deinem Herzen eine ewige Verwandschaft schwoeren. Nicht blos reiner, sondern auch laenger als Andere wollen wir uns lieben.

Ich gebe dir davon jezt den Beweis den du mir gegeben; naemlich, daß sich mein Herz nicht gegen dich verändert hat, ob es gleich anfangs dieses Sommers die ewige Gefaerthin[!] meines Lebens gefunden hat. Das feste heilige Wesen, das sich mir gegeben, ist durch meine Schilderung deine Freundin; und du würdest gewis die seinige sein, wenn du es kentest. Dieses Wesen ist über jene gemeinen Misdeutungen erhaben, womit niedere weibliche Naturen jede Freundschaft zerstoeren und bekriegen; es hat das hohe Zutrauen der Tugend zur Tugend.

d. 23. Nov.

Ich gebe geliebten Menschen, fernen und gegenwärtigen, nur die schönern Stunden, nie die phlegmatischen; — aber schönen Stunden geht es wie schönen Tagen — sie werden am Ende zu warm. Vergeben Sie mir meine.

Auch dieses Blat geht in der Hülle eines Postskriptes zum Titan nach Berlin; und darum komt es später.

Verlangen Sie doch von meinem Verleger Matzdorf in Berlin die Blumenstüke.

Nähren Sie in Ihrer guten Charlotte weniger das weiche und warme Herz als das stolze; die Gefühle fliehen oder schminken, wenn die Ehre siegt oder belehrt. Mein Geschlecht bauet gerade seine Kriegsmaschinen auf das weiche Herz des Ihrigen.

O, schreiben Sie, Gute, so oft Sie können, mir ist das Oft blos ein Selten — nur vergeben Sie mir das Schweigen zuweilen, dem ich zugleich feind und gehorsam bin. O, wie könten Sie mir zuviel schreiben! So wenig als zuviel sagen, wenn ich einmal näher neben Ihnen leben werde.

Verzeihen Sie den öden Brief! Er ist ein eiliger. — Der Perlenfischer sinkt beklommen in das ungeheure Meer, mit verbundnen Ohren und Lippen, und die Masse drükt ihn blutig — aber drunten unter Ungeheuern findet und holet er die reinen lichten Perlen — So, edle Seele, sendet dich ein höherer Geist in das dunkle, schmuzige Meer des Lebens unter so viele im Schlamme lauernde Raubthiere herab, damit du die Perlen — die oft Thränen gleichen — samlest und reich an heiligem Schmuk wieder empor nach dem Himmel steigest.

O lebe wohl, theuere, geliebte unvergesliche Josephine, unsere Seelen bleiben zusammen, denn sie waren beisammen, eh’ sie sich einander nanten.

Immer, immer werd ich dich lieben


J. P.
d. 18 Decemb.

Ich thue jezt was ich gleich hätte thun sollen, ich sende den Brief allein. Vergeben Sie das lange Zögern. In der AbendDämmerung des lezten Tags des Jahrs und dieses Jahrhunderts, wo ich meine Josephine gefunden habe, wil ich liebend an sie denken; sie denke auch an mich!

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Josephine von Sydow. Weimar, 18. November 1799 bis 18. Dezember 1799. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_362


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959. Briefnr.: 367. Seite(n): 260-262 (Brieftext) und 483 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Anfang bis 261, 18 : DLA, Marbach; ehem. Prof. Ernst Küster, Gießen; Mitte bis 262, 8 : DLA, Marbach; Schluß: Germ. Museum, Nürnberg; je 2 S. 8°. K: Sydow d. 18 Dec. J: Denkw. 2,186. B: IV. Abt., III.2, Nr. 260. A: IV. Abt., III.2, Nr. 295. 260, 31 beinahe] fast K 261, 17 das] nachtr. H 20 ewige] längere K 25 anfangs dieses Sommers] aus in diesem Sommer H 30 weibliche] nachtr. H 262, 19 viele] danach gestr. ofne H 21 wieder bis 22 steigest] gen Himmel kehrest K 29 Abend-] nachtr. H

Josephine hatte ihr Bild geschickt und dazu bemerkt, man finde, sie sehe in Wirklichkeit schöner und jünger aus. 261, 7 ff. Sie hatte geschrieben, sie könne vielleicht in der Karnevalszeit mit einer Begleiterin auf acht Tage nach Berlin kommen, hoffe aber doch, er werde nach R(ambin) kommen. 262, 3 f. Sie hatte sich vergeblich bemüht, die Blumenstücke (Siebenkäs), von denen sie nur wenige Seiten gelesen, von Nicolai zu bekommen. 5—8 Sie hatte von ihrer zwölfjährigen Tochter Charlotte erzählt, die bei der Lektüre von Jean Pauls Erzählung „Der doppelte Schwur der Besserung“ (I.Abt., VII, 387—392) geweint habe; sie wisse aber nicht, ob sie ihrer Tochter wünschen solle, ebenso empfindsam zu werden wie sie selber.