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Korrespondenz

Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Weimar, 21. Februar 1800 bis 6. März 1800.

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Weimar d. 21. Febr. 1800.

Geliebter Heinrich! Süsseres giebt es nichts im ganzen Schreiben eines Schreibens als zu sich zu sagen (— ich wolte schreiben, sagen zu können, hasse aber diese Wielandische Tavtologie, da in jedem In finitiv das Können implicite liegt —): du kanst das Schreiben fortschicken wenn, und also erweitern, wie du nur wilt. —

Heute bekam ich deinen Brief und habe also Zeit, da ich auf den 2ten lauere; nur da heute der Lenz im Aether blau und an den Bergen schimmernd hängt, mach ich mir die Lust, an meinen Heinrich zu schreiben, der fast böse zu sein scheint über das Schweigen.

Fichte’s Bestimmung etc. kont’ ich hier noch nicht haben. Hier hauset nur Kunst, keine Philosophie; ich bin fast der einzige Kossäthe und Häusler in neuen Lehrgebäuden. Ich mus es aber lesen, um in der Vorrede — oder der Dedikazion; denn du bestimmest — ein Wort über die Schleiermacher-Schlegel-Fichtische Teufels-Ackommodazion zu sagen, womit sie wie der Verf. des Buchs des erreurs etc. oder wie die japanischen Jesuiten oder am Ende wie die ersten Christen selber unter alten Worten und Ideen neue Ideen einschwärzen wollen, welches verwirrender ist als das Umgekehrte.

Ein Wort über Fichte[s] Brief über deinen! Unendlich thut er dir Unrecht. ad a) (s. in der Kopie nach) Seine praktische Philosophie ist immer nur die Folge und Erläuterung 〈Schminke〉 seiner theoretischen, und nicht ihre Schöpferin, weil doch der Begrif nicht vom Unbegreiflichen, von der Freiheit anfangen konte. Endlich weis ich nicht, wie man ein System zur Hälfte kennen kan, das entweder nur ganz oder gar nicht zu nehmen ist; es hat keine Theile. — ad b) „Weltordnung en“ mus er sagen, sagt’ ich in meinem Clavis beiläufig, wo ich bemerkte, daß eine doch nichts aussage als das optimistische Verhältnis des absoluten Ichs zum Nicht-Ich. Das geht aber andere Ichs nichts an. Meint er indes eine alle Ichs + Nicht-Ichs ordnende Ordnung: so hat er ja unsern Gott. Ich frage dich, ob ich Recht habe. —

ad x. Der Begrif des absoluten Ichs ist nach seiner Aussage das absolute Ich selber und nichts mehr.

d. Du hast es nicht gesagt. —

e. Hier ist er unheilig. — Eine gewisse Individualität wird bei allem Bessern und Heiligen vorausgesezt; jene hat oder ist Offenbarung; die Gattung oder Art hat nur Tradizion, die aber freilich nur wieder ein anderes Wort ist für dunklere Offenbarung.

f. „Analyse des Begrifs der Freiheit“ Fichte sol uns doch erst — ohne Machtspruch — beweisen, daß das Gedachte und Denkende je eins sei, und daß sich das Subjekt ganz denke und also ein Ob-Subjekt werde. Die Freiheit macht den Begrif, aber sie ist doch nicht er, die Ursache nicht die Wirkung. Belehre mich. Hier ist wieder Verbal-Weisheit. — Und du hast gewis weder ihm die Anerkennung, noch unsEr thut eigentlich gerade das; da er die Freiheit nicht ins individuelle sondern ins unendliche Ich verlegt. den Besiz der Freiheit abgesprochen, wie ich dein System kenne. — „Ausgehen vom Sein“ Belehre mich auch darüber. Ich kan nie über das Sein hinaus; und das absolute Handeln ist stets für mich. Wozu mengt Fichte die Statik der sinlichen Substanz hinein? Umgekehrt lieber — wie Plato sagt — eben die sinliche Erscheinung ist nicht, nur wir. Sein ist für mich die Kategorie der Kategorien; sage mir nur Ja oder Nein, auch ohne Beweis.

d. 23. Febr.

Ich sehe in seiner ganzen Antwort keine auf deine. Das ihm vorgeworfne wie ein Todter blos sich selber fressende und wie Christus sich auferweckende Ich bleibt immer noch da. Die absolute Freiheit, die kein Etwas, keine Substanz, kein Accidens, keine Kraft, keine That, und nirgends und undenkbar, (als Grund des Denkens,) ist und nichts, kein Prädikat hat und ist, diese Ichheit wird mir immer mehr ein anderes Wort für das algemeine unbekante X der Skeptiker, eine transszend[ente] qualitas occulta; worein man alles sezt was für sich nicht stehen kan.

Ich bitte, Heinrich, sage mir nur über diesen und andere Briefe ohne weitere Beweise, ob du dazu Ja oder Nein sagst.

Die Archimetria wurde mir und Herder geschikt. Diesem gefält sie sehr; mir nicht. Als praktisches Regulativ ist sein tantum gut; aber nicht als theoretisches; denn nicht über die Nothwendigkeit sondern über den Wohnort des Tantum wird ja eben von Jena bis Königsberg gefochten. Er selber schreibt ohne ein Tantum.

Weimar d. 3. März 1800.

Heute erhielt ich deinen Brief. Du lieber Kranker! Gott kent deine diätetischen Sünden, aber wahrscheinlich nicht du und der Arzt. Ich weis aus meinem Beispiel, wie man diesen entbehren kan und doch zuweilen straflos sündigen. — Schon in meiner Anfrage lag die Ahnung ihrer Beantwortung. Die hier folgende Vorrede erwartet dein Urtheil über mein Rechtmachen. Sage nur blos Nein, — ohne Gründe, ich vertraue dem Herzen; denn Gründe sind für alles zu finden, wie die Weiber wissen. — Fichte’s Brief hat mir doch durch sein mir ab gestohlnes Urtheil über deine straffe Denk-Sehne oder Senne Freude gegeben. — Je näher sein kalter wissenschaftslehrender Mond zu mir niederkomt, desto mehr wird mir dessen Licht nur Erde und Gras u. s. w., so daß ich — wegen der Leichtigkeit der Einwürfe — befürchte, ihn zu misverstehen; und daher wend’ es für die Vorrede ab, fals etwas davon gegen sie gälte.

Mein guter Heinrich, sage mir doch einmal bei Gelegenheit wieder, daß du mich lieb hast. Ich wil gleich den Mädgen, dasselbe wenn nicht Trillionen- doch Millionenmal wiederholen hören. Es ist die stumpfeste Unkunde des heiligen Geistes der Liebe — der die einzige Aussöhnung mit dem platten dürren Erdenleben ist —, die ewigen Refrains der Versicherungen in Briefen der Liebe zu tadeln. Die Worte der Liebe sind Werke der Liebe; sie sind nicht Schälle sondern Töne und die alten Töne führen immer die alten Wellen wieder zu. — Über meine Caro line kan ich jezt wieder nicht reden.

Der Archimetra ist wie mir Böttiger gesagt, Thornild [!], ein Schwede, Bibliothekar in Greifswald. — Über das Beitragen zum Taschenbuch gebietest du nicht nur das Daß sondern sogar das Das, Bruder. Eine meiner besten Satiren (die aber in Berlin der Zensur zuwider war) Leibgebers Leichenrede auf einen fürstlichen Magen — nebst noch etwas sanftern — geb’ ich gern dazu, wenn du jene nicht zu disson mit dem Ganzen findest.

Die Vorrede jage sogleich mit einem Sedez-Briefgen zurük — des Sezers wegen.

Ich schwöre dir, ich schreibe an andere tiefsinnigere Briefe als an dich; aber bei jenen wil ich lehren, bei dir lernen und frage also nach nichts. Allein du sagst zu selten — Nein; Ja ohnehin nicht und ich erwart’ es auch nicht. Du soltest nur wissen, was täglich und wie eilig; und nicht etwa Welten, sondern Weltsysteme in Nebelflecken-Gestalten durch meine Seele brausen. Mich wundert nur, daß ich noch den gemeinen Menschenverstand habe.

d. 6. März.

Eben steh’ ich von der Dedikazion auf und seze mich zum Briefe nieder. Ach Guter! Ich muste in derselben den Quel des Lebens, das Herz, — wie im physischen Körper — zum kleinsten Globus machen, weil du woltest. Warlich ihr alle, du, Herder, Göthe, Wieland, Schiller etc. müsset schon sehr alt sein, weil ihr so politisch seid und so viele Rüksichten nehmet und ich unglaublich jung, weil ich keine kenne. — —

Fichte’s Bestimmung etc. wurde mir weder erfreulich noch schmerzlich sondern langweilig. Das 2te Buch zieh’ ich vor; im dritten wird er kahl und fahl. Der schroffe unmotivierte Übersprung p. 183 vom Wissen zum Glauben mus diesem lezteren bei jedem schaden, der das System nicht kent. Ein herlicher Jüngling in Leipzig, Thieriot, meint gar, p. 307 und 177 sei er dir nachgerükt. Entweder unverständlich oder betrügend ist alles für jeden A-Fichtisten. — Sonderbar ists wie ich in meinen neu dazugesezten Einwürfen zusammentreffe mit seinen nämlichen, die er nicht auf sich wiederprallend glaubt. — In Jena hört’ ich vorgestern, er sei tol auf dich, nämlich auf die veränderten Briefstellen — die ja alle zu seinem politischen Vortheil dastehen — und auf die Beilagen. Seine Antwort im philosophischen Journal bezieht sich doch nur in der Ferne auf dich; und gerade dieses verhülte Sprechen oder dieses verschobene bedeutet bei diesem eilfertigen, kühnen, feurigen Geiste eine grössere oder scheuere Nähe an dir als du denkst. —

Grüsse d. h. küsse deine vorige Hand! Lebe wohl, Geliebter!

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Weimar, 21. Februar 1800 bis 6. März 1800. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_412


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959. Briefnr.: 417. Seite(n): 299-302 (Brieftext) und 496-497 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 6 S. 4° u. 2 S. 8°. Präsentat: Jean Paul abgg. d. 6ten März 1800. e. d. 15ten März. b. d. 16ten März. K (nach Nr. 409): Jakobi 21 Feb. 7.[!] März. J: Jacobi S. 48×. B: IV. Abt., III.2, Nr. 319. A: IV. Abt., III.2, Nr. 338. 299,3 Süsseres] aus Süssers davor gestr. Schönere H 4 zu2] nachtr. H 5f. Infinitiv] davor gestr. Aktiv H 7 wenn,] nachtr. H 8 den] aus einen H 9 heute] aus heutiger H 14 es] aus jene aus sie H 18 unter] aus mit H 19 und Ideen] nachtr. H einschwärzen wollen] aus meinen H 22 in der Kopie] aus im Briefe H 24 weil bis 25 konte] von Jacobi rot unterstrichen H 28 bemerkte] aus sagte H 29 eine] aus sie H optimistische] danach gestr. oder moralische H 32 habe. —] danach gestr. ad c.) versteht er dich nicht; und wahrscheinlich auch sich nicht [nachtr. oder ich ihn]; denn unsere Theologen sagen ja, Gott [aus er] kent weil 〈was〉 er macht H 36 bis 300, 2 von Jacobi rot angestr. H 37 jene hat oder] aus es H 300,3 Fichte] davor gestr. Du wirst sagen, H 4 je] nachtr. H sei] aus ist H 5 daß] aus inwiefern H 12 die Statik] aus den sinlichen Statist H sinlichen] nachtr. H 13 sinliche] davor gestr. Substanz H 17 Das bis 18 fressende] von Jacobi rot unterstr. H ihm vorgeworfne] nachtr. H 23 Skeptiker] davor gestr. Philos. und H 24 worein bis 25 kan] von Jacobi rot unterstr. H 29 sein tantum] aus sie H 32 Tantum.] danach gestr. Einmal kam ich gar auf den Gedanken, ob Fichte nicht Eine absolute Ichheit (da das Absolute keine Zahl hat) troz der vielen empirischen Ichheiten [aus Ichs] behaupte; dan wären wir wieder bei Malebranche; aber es geht nicht. H 301,5 straflos] nachtr. H 8f. wie die Weiber wissen] nachtr. H 9f. mir abgestohlnes] nachtr. H 14 zu misverstehen] aus miszuverstehen H 18 hören] nachtr. H 19 die] davor gestr. eigentlich H 22f. die alten Töne] aus dieselben H 23 Über bis 24 reden.] nachtr. H 26 das] aus mein H 27 Das] aus Was H 29 zuwider war] aus widerstand H Leibgebers] aus Scho[ppes] H 32 sogleich] nachtr., doppelt unterstr. H 302, 4 6.] unterstr., aus 7. H 6 den Quel] die Quelle K 7 Herz] darüber Zeichen der Liebe K 14 unmotivierte] nachtr. H 24 der] aus sehr weiter H 25 kühnen] nachtr. H

299,12 Über Fichtes „Bestimmung des Menschen“ (Berlin 1800) hatte sich Jacobi in B sehr abfällig geäußert. 14ff. Vgl. I.Abt., IX, 463,9ff.; Verfasser des 1782 von Matthias Claudius übersetzten Werks „ Des erreurs et de la vérité“ (1775) ist der Theosoph Saint-Martin. 21 Jacobi hatte die Abschrift von Fichtes Erwiderung auf seinen gedruckten Brief mitgeschickt, die einem Brief Fichtes an Reinhold v. 8. Jan. 1800 entnommen war, s. „Reinholds Leben u. lit. Wirken“, Jena 1825, S. 212. 27—30 Vgl. I.Abt., IX, 487,30—33. 300, 28 Archimetria: s. Nr. 471†. 301, 5 ff. In seinem nicht erhaltenen zweiten Brief — der Antwort auf Nr. 391 — hatte Jacobi, wie aus Jean Pauls Brief an Otto v. 12. Juni 1812 hervorgeht (Bd. VI, 273,9—11), zwar die Dedikation des Clavis erlaubt, aber nicht die Erwähnung, daß er das Werk im Manuskript gelesen habe. 302, 8 —11 Vgl. 246, 29 —32. 16f. Thieriot: im Brief an J. P. IV. Abt., III.2, Nr. 330. 23 Gemeint ist anscheinend Fichtes Artikel „Aus einem Privat-Schreiben (im Jänner 1800)“ im 9. Band des Philosophischen Journals (1800), S. 358ff. 27 Jacobi hatte seinen Brief einer seiner Schwestern diktiert.