W[eimar]
d. 14. März 1800
[Freitag].
Ich wil ein wenig an dich schreiben, lieber Otto, bei
diesem MörderWetter, das uns nur
darum den Himmel aufmacht, damit wir hineinfahren, oder wie man prosaisch genug sagt, krepieren. In
meiner entfiederten Feder
stekt heute keine Flugkraft als blos zu Briefen, die mir nicht Konfortativa abfodern sondern zutheilen. Auch mein Kopf hat den Sakraments-Katarh und kan kein Leben mehr anders
födern als durch die Nase, wodurch gerade Adam seines
bekam. Himmel! Wider
das algemeine Erwarten hab’ ich jezt Kraft! Wie ists zu
machen — die besten Bücher würden dan daraus —, daß ich mir
vorsage, ich schreibe stat ihrer einen Brief? Am Titan hätt’ ich heute keine \nicefrac{1}{300}
Zeile schreiben können.
Mein Verlust, wenn ich von meinen Herders scheide, ist
weder zu
ersezen noch zu vergleichen. Solche fortarbeitende
fortglimmende Abende — ein solches Verstehen — eine
solche Ergiebigkeit — eine solche Spashaftigkeit kan ich
nicht mehr selber haben oder bei andern finden! Ich habe
endlich ein gewisses logisches Übergewicht über den
götlichen Pegasus
erfochten; nur mach’ ich zuviel Spas bei ihm und preise
mich zu oft, was jezt er und die andern auch für ihr Bestes anfangen. Übrigens bin ich der alte Nar
und die Hauptquästion jeden Abend — öfter komm ich nicht —
ist blos, sobald mein Geliebter fort ist um 10⅓ Uhr, wie
der Liebende von den 2 Mädgen fortzutreiben
sei. Wir haben einmal alle eine lange
Disputierübung über das (mein) Küssen gehalten; und den
andern Tag bewies ich der Herder, wie sie stolpere. Ich gehe nicht ab. Die wichtigste Eroberung, die
ich seit Jahren gemacht, ist eben die Tochter, die mich
sonst „als einen zu gelehrten Hern“
vermied. Es liesse sich viel darüber sagen, d. h. denken, daß diese Schöne — das schönste Mädgen in Weimar — nebst meiner
Cousine in voriger Woche abends in scherzender
Mägdetracht (mit
mütterlichem und väterlichem Vorwissen) zu mir gekommen
auf die Stube, um mir ein Billet von der Luise Herder zu bringen was beiliegt. Warlich, ich hatt’ es sogleich heraus aus den
niedlichsten Augen und strafte auf der Stelle — Beccaria tadelt das Verschieben der
Strafen mit so vielem Recht — solche widerrechtliche
Täuschungen des Publikums, so gut ich in der Eile
konte.
d. 16 M.
Mein Diner bestand heute in einem — Brechpulver. Ich hatte 2 Tage Katarhalfieber und Gal-Erbrechen (aber ausser dem
Bette); um 3 Uhr war ich wieder kerngesund nach Verlust
Einer Maas Galle. — Der gute Schaefer starb blos durch Doktors-Faust, Pfote, Klaue,
Taze.
Jezt wil ich einiges auf deinen beschämend-langen Brief antworten; und mich auf Zeichen an dem Rand beziehen.
(Ich habe kein Briefpapier mehr und es ist Nacht)
1. Mit C. ist alles volendet; ich wich um keinen
Fusbreit gegen
die 2 Un-Männer. Nachher mehr davon.
2. Emanuel wird zulezt ein moralischer Gott in meinen Augen. Ich
schäme mich vor seinem Werth, ob ich gleich auch ein
besseres Wesen
sein würde, wenn ich nicht in der Verwüstung und
Betäubung und Auseinanderreissung des poetischen
Schaffens leben müste.
d. 25. M.
Und so bewundere ich auch deine eiserne Geduld und goldne Thätigkeit.
3. An den D. oder die Doktorin Stiehler sol er schreiben; das
Institut ist vortreflich.
4. Du denkst viel zu gut von mir; wie verdient’ ich so viel.
5. Ich wil doch einmal nicht faul sein sondern dich widerlegen.
Hennings drukte es wie ichs
verlangte; so daß nach Verhältnis des
Titans 8 Ld’or auf den philosophischen Bogen komt, was nur bei
poetischen erhört ist. Über Mazdorf irrest du sehr. Erstlich sezest du
ganz falsch voraus, daß er jede
Ausgabe so stark macht als Eine Auflage und sich so die ungeheuere Ausgabe
einer 3fachen Simultan Auflage aufbürde, die immer
schwerer abgienge als eine sukzessive. 2) kont’ er ja
in demselben Papier eine so grosse machen als er
wolte weil ich 3) ihm nichts vorgeschrieben.
4) Ist die 3te gar nicht da, sondern nur einige Exemplare [auf]
mein Begehren für mich und meine Freunde. Auch stellest
du dir den Absaz meiner Werke viel zu gros vor.
Md. Feind hat mich zu Neujahr redlich
bezahlt.
6. Tieks Lob unterschreib’ ich — er besuchte mich, ich ihn; es ist ein
edler und kentnisreicher Mensch — aber nicht
den Tadel Spangen
bergs, ders gewis, ipso teste, gemacht.
7. O daß mir deine Friederike nicht schrieb, an der ich so brüderlich
hänge! Hat sie auch mein Herz verlassen wie die 2
andern?
8. Frankfurter Federn, Federn, Federn! Bier, Bier, Bier, Bier! —
9. Ich kan nichts thun. Ich bedauere dich unendlich.
10. Send’ ihm doch meine neulichen Briefe; und behalte überhaupt
keine so entsezlich
lange.
11. Du mishandelst deinen so schönen, feinen Brief, dem ich nur eine Übertreibung der Wendungen schuld gab. In denen an
mich sündigst du nicht; in denen an fremde Personen
immer bis zum Schein der Eitelkeit, wenns nicht eine
ist. Schicke mir nur Briefe z. B. an Oertel, ich wil
exzerpieren; erlaube mirs, einen zu verlangen.
12. Komme mir mit diesem mörderischen Parallelismus nicht mehr,
den sogar in Hof niemand
macht, das beschwör’ ich. Man wolte eine
Konsulesse weniger haben, das wars. — In Bayreuth wird dein Geist
unter Menschen, die Kentnisse haben und achten,
aufleben und man wird dich bald belohnen; den
Titular-Titel würde dir ein ertrozter haben
ersparen können.
13. Mit der Boxberg hat die gute Bek, die froh und uneigennüzig
und leichtsinnig ist wie ein Mädgen, nichts
gemein.
14. Geht schwerlich. — Ich hasse jezt die Kotzebuische Sentimentali
tät, wichtige Aktus noch durch
zufällige Tage zu erhöhen, wie z. B. die Liebmannin. Bei Gott! ein Hochzeittag ist für sich
genug; und
alles Würzende darf höchstens der Zufal
zuwerfen.
15. Du bekomst nichts; deine Freude wäre da gestört; und ich denke
doch immer beim Arbeiten an und für dich. Ich hatte
überhaupt blos einen geheimen Plan auf mich, — mich
nämlich zu nöthigen, den Plan recht
auseinanderzuwickeln. Denn ein Fremder kan einem vieljährigen Nachdenken doch wenig helfen mit einem
vielstündigen.
Damits nur fortkomt, wil ich fliegen, nicht gehen.
Gleim schikte mir in einer königl. Verschreibung auf die ostpreussi
schen Provinzen 500 fl. Aussteuer.
Man kan nichts sagen als im edlern Sin: er ist ein
Deutscher.Aber ich verstehe den langweiligen
Schuldschein nicht, weis nicht wenn und wo Zinsen zu
erheben und was ich mit ihm thue. Soviel Weichheit, Flamme und
Originali
tät! — Karolinens Brief an dich wird
dir die zarte aber jungfräulich
scheue Seele zeigen. Ausser der
Spangenberg hatte keine noch das
Maas des Schiklichen so fein; — so daß du oft mehr als
ich ihr anpastest, wiewohl ich mich
(zuweilen) blos darüber wegseze ohne es zu entbehren. — Unter allen Werbetrommeln zu einer Vierteljahrsschrift hat die von
Wilmans in
Bremen die beste Haut
und Tönung;
er schrieb vorn herein die gewöhnlichen Schmeicheleien,
die so wenig rühren, bis er beifügte, ich möcht’ es für
einen geringen Beweis seiner Achtung etc. ansehen, daß er
etc. ein Kistgen mit Wein nach
Braun
schweig etc. abgehen lassen.
Ich bin Mitarbeiter.
Auf eine eigne Art überraschten ich und
Caroline uns
gegenseitig
mit unsern kameralistischen Verhältnissen; du wirsts aus
ihren Briefen errathen.
Ein weicher Gott — nach den Flor-Tagen der ekelnden Krankheit — stieg an meinem GeburtstagIch
feierte ihn des Frühlings wegen am 20
ten; den wahren
weis ich nicht; in Leipzig feierte ich 2 hinter
einander.
in mein Herz herab.
Auguste schikte
mir die erste Schöpfung ihrer stickenden Kunst —
Caroline eine, selber
Herdern entzückende, Stickerei —;
Luise und die
Herder einen
Blumenstok und Blumen und
Biscuit; und um 11 Uhr kamen sie alle selber, himlisch gekleidet. Ich weinte vor Freude und Liebe. Dan kam
D. Herder und
D. Majer, und mein
[!] götlicher Mensch der Maler
Büri. Himmel! mir fehlte nur meines Ottos sehr vermister
Brief, der
1 Tag später ankam. Nachmittags schikte die Herzogin
einen blühen
den Rosenstok — für den Bedienten 1
rtl.
douceur — und abends as ich bei
Herder wo allerlei zusammen gebeten war. Ach
nur die 10 Minuten, wo die Seele von der Nähe der Liebe
aufgelöset, heis und
weich zerflos, da war die Geburt. O Gott, wenn man
immerfort lieben könte und dürfte und recht innig, was
brauchte man denn noch auf der Erde oder hinter der Erde?
— Gute
Caroline, ich sagte dir die
Zusammenkunft in
Ilmenau
aus guten Gründen ab: köntest du es
wissen, wie sich jezt auf einem andern Blatte meine Seele
so unaussprechlich nach deiner reinen
frommen festen sehnt. — Wie wil ich dir sagen, Otto, wie
ich sie achte! Nicht blos liebe; denn das ist immer so leicht!
d. 27. M.
Giebst du nicht dem Bonaparte ein Paar Lorbeerkränze auf
seine
Krone? Ich trau’ ihm ganz, er wird wie Herkules den
Oelbaum
pflanzen; ja er wird, aber ohne die Grausamkeit, abdanken
wie Sylla.
Aber die Franzosen sind Lumpen. In Wien eine Karikatur; ein Kurier
oder Paul hatte ein Paquet unter dem einen Arm:
ordre; unter dem
andern eines: contre-ordre; auf
der Stirn: desordre. — Was sagst du dazu, daß ich mit meinem Parisien auf die Fichtische Arena ge
treten? Nur nichts vom Mangel an
weichlicher Menschenliebe, die allen Geiseln Gottes nur
zusehen sol. — So viel ist gewis, sie werden
mich blau und braun dreschen. —
Wäre Friede, so stimte ich ganz für Bayreuth. Es ist so
viel dafür,
obwohl einiges dagegen.
Deine Schwester sol schreiben, sie mag heissen wie sie wil. Dan
schreib ich ihr und wohl Wernlein. Im Winter nach
dem Essen lebte
ich oft in der Höfer Zeit. Ich machte das Brief-Archiv auf
und dan
giengen die alten Stunden freundlich vol alter
Rosenblätter vorbei und schüttelten den Staub ab.
d. 28.
Er sol fort. Der Himmel hängt am Himmel. Mögest du recht gesund bleiben. Und mögest du doch endlich einmal im
künftigen Sommer die feste ruhige Freude finden, die du so
gern verschenkst. Leb wohl mein Alter!
Der Frau des Pegasus hab’ ich (durch meine Veranlassung)
100 Konvenz. rtl. geliehen.
Kommentar (der gedruckten Ausgabe)
SiglenH: Berlin JP. 15½ S. 8°. K: Otto den 28 März. J 1: Otto 3,254×. J 2: Nerrlich Nr. 75×. B 1: IV. Abt., III.2, Nr. 328. B 2: IV. Abt., III.2, Nr. 339. A: IV. Abt., III.2, Nr. 371 309,32 zutheilen] aus geben H 310,2 jezt] aus hier H 10 logisches] nachtr. H 12 ihr Bestes] aus ihre Person H 14 sobald] aus wenn H 20 vermied] aus flo[h] H 22 Mägdetracht] aus Mädgentracht H 24 Stube] Stunde H (vgl. 338,7 †) 25 hatt’] aus hatte H 33f. Pfote, Klaue, Taze] nachtr. H 36 auf dem hier schließenden Blatt steht unten von Karoline Richters Hand: weiche Wolke, gehört hieher [vgl. 376, 36 ?] H 311,4 gleich] nachtr. H 18 Simultan] nachtr. H 22 auf] für H 32 neulichen] nachtr. H 312,2 der Wendungen] nachtr. H 10 würde] aus wird aus hätte H 14 jezt] nachtr. H 19 und für] nachtr. H 30 (zuweilen)] nachtr. aus oft H 31 Werbetrommeln] davor gestr. Einladungen und H einer Vierteljahrsschrift] Monatsschriften K 34 möcht’] aus möchte H 313, 9 f. einen Blumenstok] aus Blumenstöcke H 13 sehr vermister] nachtr. H 17 von] aus in H 24f. immer so leicht] aus viel leichter H 30 Karikatur] aus Karrikatur H 34 vom Mangel an] aus von H 314,3 ganz] nachtr. H 4 einiges] aus manches H
310,22 Cousine: Auguste von Beck. 26 Beccaria: vgl. I.Abt., I, 395,19—21. 33 Hofrat Schäfer war am 21. Febr. gestorben, nach B 1 durch Schuld des Arztes, der dem nicht kräftigen Mann nochmals zur Ader gelassen hatte; vgl. 322, 8 f. 37 Das hier beginnende Blatt ist von schlechterem Papier. 311, 2 zwei Unmänner: Karolinens Bruder und Onkel. 3 Emanuel hatte, nach B 1, sich im Verein mit Otto aufopfernd für die Familie Köhler bemüht (vgl. zu Nr. 352), dabei aber noch Undank geerntet. 10 Otto hatte im Auftrag Roders (s. Bd. I, Nr. 216†) nach einem Erziehungsinstitut für Mädchen in Gotha gefragt; in der Stiehlerschen Pension war Luise Herder gewesen. 12 Otto hatte gemeint, Jean Paul könne die Pension (1200 fl.) des nach Frankreich zurückgekehrten Berliner Akademiemitglieds Boufflers erhalten. 13ff. Nach Ottos Ansicht war Jean Paul von seinen Verlegern Hennings und Matzdorff wieder übervorteilt worden; vgl. 285, 22 . 25—27 Otto hatte Tiecks „Zerbino“ gelobt und bezweifelt, daß die „Zauberlaterne“ von Spangenberg sei (vgl. 247, 3 , 259, 23 ). 29 die zwei andern: Amöne und Karoline Herold. 30 Vgl. 287, 8 —13 und 286, 35 . 31 Dem alten Herold drohte wegen einer in einer Schrift über die Akzise begangenen Majestätsbeleidigung eine Gefängnis- strafe; Otto hatte gefragt, ob Jean Paul ihm nicht helfen könne. 32 ihm: Friedrich von Oertel. 312, 1 ff. Otto hatte den Tadel seines Briefstils ( 287, 22 ff.) als berechtigt anerkannt und um Angabe von Beispielen gebeten. 6—8 Parallelismus: Otto fürchtete, mit seinem künftigen Schwager, dem unwürdigen Liebmann, auf eine Stufe gestellt zu werden; man habe ihm Amöne ebenso bereitwillig gegeben wie jenem Karoline. Zu dem Ausdruck „ Konsulesse“ vgl. Bd. II, Nr. 189, 125,31f., wo jedenfalls auch die Familie Herold gemeint ist. 12f. Otto hatte aus den Briefen der Ernestine von Beck die Stimme der alten Boxberg (s. Nr. 60†) herausgehört. 14—17 Otto hatte geraten, bald zu heiraten, womöglich im Juni, um die längsten Tage des Lebens und des Jahres zusammentreffen zu lassen; Karoline Herold hatte an ihrem Geburtstag (4. Febr.) geheiratet; vgl. I.Abt., IX, 8,33ff. 18—22 Otto hatte gewünscht, Jean Paul möge auch ihm die Geschichte des Titan versiegelt mitteilen (s. das Nachwort von Nr. 393). 28 Spangenberg: vgl. Bd. II, Nr. 128, 95,1. 313, 28 f. Vgl. I.Abt., VIII, 26,18f. 30—32 Vgl. I.Abt., XII, 105,22—25. 35 Jean Paul war am 21. März um 1½ Uhr früh zur Welt gekommen. 314, 15 Karoline Herder, vgl. IV. Abt. (Br. an J. P.), III.2, Nr. 314 und 317.