Von Jean Paul an Josephine von Sydow. Weimar, 24. April 1800.
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Theuere! Ihr Schweigen auf mein Blat vom 17 März machte
mich um Ihre Gesundheit bange, deren Feind der Winter und
der
Frühling ist. Ihre zwei lezten Briefe gaben mir alle
Freuden der
324,5
Liebe, die ohne die Gegenwart möglich sind. Sie mögen noch so
viel Zeit und Mühe einem Briefe widmen, einen langen können
Sie mir doch nicht
schreiben.
Ich logiere in Berlin beim Buchhändler und Kommerzienrath
Matzdorf unter der Stechbahn und gegen das Ende Maies
bin
324,10
ich da. Senden Sie vorher ein Briefgen an mich ins
Matzdorfische
Haus — oder früher nach Leipzig,
abzugeben bei dem Buch-
händler Beygang — worin Sie mir Ihre
Ankunft und Wohnung
sagen. — Ich wolte neulich allerdings Ihnen vorschlagen,
Leipzig
selber zu besuchen; Gründe auf meiner Seite wären genug.
— Ich
324,15
gehe nach Berlin, nicht Berlins wegen. Eine grosse Stadt ist für
mich
eine Samlung und Gasse von Städten — in Leipzig hätten
wir den
Zauber der Natur und der Gärten genossen; der
Altar der Freund
schaft würde da unter
Blüten und neben Nachtigallen gebauet
— o unsere Wonne
wäre da ohne Gleichen — auch würde mir Zeit,
324,20
da ich auf Reisen nie schreibe, und vielleicht Kränklichkeit
er
spart, weil ich immer aus dem
bunten Kreise ewiger Soupers
krank durch Trinken und
Sprechen und Wachen herauskomme.
— Noch viele andere
Gründe wolt’ ich Ihnen vorlegen; aber ich
unterlies es,
weil ich die Gränzen Ihrer Verhältnisse nicht kenne;
324,25
wär’ es Ihnen aber doch möglich, Theuere, nach Leipzig zu
kommen — ach wie gern würd’ ich Ihre Abreise aus Leipzig
be
gleiten, um nur nicht nach
Berlin zu müssen.
Einige Ihrer Briefe sandt’ ich meiner edlen Caroline. Sie
ant-
wortete darauf: „Josephinens Briefe
sind Beweise eines edel
324,30
„gebildeten Karakters und eines warmen aber unglüklichen
„Herzens. Die Art, womit sie an dich schreibt, kan meine
Liebe
„nur erhöhen. Sie liebt dich. Gehe, mein
Geliebter, heile dies
„wunde Herz und tröste die gedrükte
Seele, sie verdient es. O
„wie wird es dich und mich
beruhigen, wenn du ein drittes We-
324,35
„sen beruhigt, ein heisses Sehnen gestilt, und jene
überflügeln
„de Phantasie mit der
Hand der Freundschaft in die Seele vol
„Frieden zurükgeführt hast. Ich nehme Theil an Josephinens325,1
„Geschik, weil es traurig ist, ich achte sie, weil sie dich
liebt.
„Sag’ ihr das, wenn du bei ihr bist, und gieb ihr
alles was sie
„trösten kan, ich werde dir danken dafür,
denn sie ist ein Weib,
„ist meine Schwester etc. — — Ich weis es ja, du wirst dein325,5
„Weib nur noch mehr lieben, je mehr du die Menschen
liebst.“
Das ist die Seele, der die meinige angehört, und nun kennen
Sie sie ganz.
Mir ist jezt fast als schrieb’ ich von der lezten Poststazion
vor
Berlin an Sie, ich verspare alle Antworten auf Ihre Briefe
auf
325,10
unsere so nahe Seeligkeit; wie eine Sonne steigt
für mich diese
schöne Stunde herauf, und der ganze
Frühling ist ihr Morgen
roth.
Sage immer du, liebe Seele und entschuldige dich nicht. Das
Du sagt, daß es nur noch Ein
liebes Wesen gebe, das Sie oder325,15
vous sezt zu viele Wesen voraus. —
Reise glüklich, liebe Josephine, ich schreibe dir nun nicht
mehr, und das erste Wort, das du von mir hören wirst,
komt
nicht aus der Feder, sondern von den Lippen. Und
ich ruh’ an
deinem Herzen, wenn ich dir meines zeige.
325,20
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Josephine von Sydow. Weimar, 24. April 1800. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_450
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
K: Sydow d. 24 Apr. *J: Denkw. 2,212. B: IV. Abt., III.2, Nr. 318 u. 364. A: IV. Abt., III.2, Nr. 375. 324,3 macht J 8 nicht] nie K 19 aufgebauet K 325,12 Ihr J
324,30 ff. Vgl. IV. Abt. (Br. an J. P.), III.2, Nr. 355.