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Korrespondenz

Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Weimar, 29. April 1800 bis 1. Mai 1800.

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Weimar d. 29. Apr. 1800 .

Mein alter Freund! Rechne mein Schweigen zur Hälfte in das von Otto ein, der seit den [!] 28 Febr. von mir fremde Briefe an dich und einige Nachrichten für und Antworten an dich hat. Leztere hab’ ich vergessen während seinem Vergessen. In der Maiwoche, von Rogate an, komm’ ich nach Leipzig für einige Tage und für dich; aber ich bitte dein Herz, daß es dich bewege, nach Leipzig zu kommen (in den lezten Wochentagen), da ich keine Zeit habe, die deinige zu schonen. Thue das, Guter, denn ich kehre nicht über Leipzig zurük und ich sehne mich so sehr nach dir. Ein ganzes flammendes Leben hab’ ich dir vorzuführen; einen unverrükten Menschen hab’ ich dir zu zeigen und deinen Freund dazu, kom, mein Oertel! — Wie geht das Leben schillernd, sich hin und her wendend und neu-farbig vor mir vorbei! An mir haftet nichts als an meinen zarten Wangen sein Rosenroth — ich bin gesund und rüstig und ich hoffe jezt der Mensch in Europa zu sein, der die engsten Westen hat, weil er zu sehr wächst.

Mein Oertel, ich wil in dein Auge der Liebe sehen, komme ja; es schmerzte mich zu sehr, weil nur der versezende Gott weis, in welchen Jahren ich wieder aus den Kulissen in deine belaubte Bühne gucke. —

d. 1. Mai.

Morgen fahr’ ich mit den Herders nach Ilmenau, wohin uns Caroline, nach der Herder sich eben so sehnet wie ich und an die er schon einigemal geschrieben, wie sie an ihn, mit Augustens Mutter entgegenkomt. Möge dein Mai eben so schön ausfallen.

Ich bitte dich, fodere Otto die Briefez. B. von Jacobi über den Clavis. für dich ab, auch damit ich sie mit dir in Leipzig finde. Thieriot besuchte mich und wurde dadurch ein Herderscher Tischgenos; geigte da; dan bei Goethe; dan am Hofe und war sehr glüklich. — Ich suche noch meine Wohnstadt für mich [und] C. im August, (wahrscheinlich Bayreuth). — Koch, der Mund harmoniker (vergieb der Kürze das Durcheinanderwerfen), dankte mir für die Zuhörer, die er durch die Leser des Hesperus gewonnen. — Apropos! Vor-vor-vorgestern kam ein junger sanft gebildeter bescheidner Mensch zu mir — er nante mir blos seinen Zunamen — ich hielt ihn für einen Studenten — und endlich durch die Wendung des Gesprächs hör’ ich daß es Friedrich sei, nämlich Friedr. Schlegel. Sein kindlicher und alles Höhere leicht fassender Sin und seine Bescheidenheit machten daß er (meinetwegen war er gekommen) und ich Freunde (bis zu einem gewissen Grade) wurden und er einen Tag länger und immer bei mir blieb; er konte mich nicht sat bekommen und ich muste ihn noch begleiten. Unsere Disputierübungen war[en] sanft und verknüpfend. Sein Sin ist genialisch; aber seine Menschen-, Bücher- und a[ndere] Kentnis so seicht, daß du alle Steingen auf dem Boden zählen kanst. Auch Herder macht’ ich durch meine Schilderung der 2 Tage zu dessen Nicht-Feind. — Den Tag vorher war der Antagonist Schl[egels], Schüze bei mir.

Übrigens hat mir neulich ein bremischer Buchhändler ein Kistgen spanischer etc. Weine geschikt als eine Einladung zum Kollaborieren an seiner ¼jahrsschrift.

Guter Oertel, ich weis nicht, was ich aus dem Chaos von alten und neuen Nachrichten für dich fischen sol; warte bis zur Mündlichkeit, dan bekomst du stat des Fangs den ganzen Teich. — Mein Brief ist mager und zaundür gegen deine, aber das Schweigen ist gar Luft und noch dazu stilstehende.

Herzlich erquikt mich das neue Heil in deinem häuslichen Eden. Grüsse die Eva, die kein Paradies verliert sondern die es bekomt und giebt und konserviert. Lebe wohl, Alter, und schreibe mir vor dem Sehen!


R.

N. S. Ich liebe meinen guten alten Oertel recht herzlich.

P. S. Oder der Teufel sol mich holen.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Weimar, 29. April 1800 bis 1. Mai 1800. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_454


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959. Briefnr.: 461. Seite(n): 326-328 (Brieftext) und 509 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 6 S. 8°. K: Oertel d. 1 Mai. J: Denkw. 1,385. 326,32 an dich] nachtr. H 327, 1 und Antworten an] nachtr. H 6 über] aus durch H 16 in deine belaubte] aus deiner belaubten H 27 der Kürze] nachtr. H 31 hielt’ H 328, 2 f. und verknüpfend] nachtr. H 17f. und giebt] nachtr. H

327, 2 ff. Rogate = 18. Mai. Oertel beklagt sich in einem Brief an Amöne Herold v. 8. Juni 1800 (H: Koburg) bitter darüber, daß Jean Paul unter fünf Leipziger Tagen keinen für ihn übriggehabt habe. 24 Thieriot spielte am 9. April 1800 bei Goethe. 328, 7 Schüze: wohl Hofrat Schütz aus Jena, s. Nr. 463. 8—10 Vgl. Nr. 428.