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Korrespondenz

Von Jean Paul an Christian Otto. Weimar und Leipzig, 16. Mai 1800 bis 19. Mai 1800.

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Weimar d. 16. Mai 1800

Morgen geh ich nach Leipzig und dan nach Berlin. Himmel! ich müste in einen Dintenteich eintunken, um dir das Nöthigste ganz kurz zu sagen. Mit gerührter Freude las ich gerade am Abend, wo ich mit den Herders von Ilmenau und der Zusammenkunft mit C. zu rükkam, das schöne Glük deines guten Bruders; recht innigst bewegt’ es mich, ob gleich der scharfe Stein auf diesem schönen Wege lag, daß du dabei fast verlierest. Das sol nicht sein. Wil denn das Schiksal alles dein Ergeben und deine Klugheit und deinen Werth mit gar nichts belohnen? O lieber Otto! — Aber es wird, es mus schon die Nemesis schicken mit ihrer Wage, um dich — aber mit und zu etwas besserem als man sonst die sächsischen Kurfürsten — darauf auszuwägen. — An deinem Namenstag war mein Herz in Wonsiedel — wohin ich mich unaussprechlich sehne — und sah Euch gute Menschen auch als glükliche und dankte dem Himmel, daß er blau dazu war. Schreibe mir ja deinen Ehrentag; ich wil ihn stil in meiner Brust mit feiern, ob ich gleich eine zu überfliessende habe, als daß ich sie in einen solchen Tag hineintragen dürfte. —

Friedr. Schlegel war blos darum 1 ½ Tag in Weimar, um 1 ½ Tag in meiner Stube zu sein. Wir haben uns leicht verständigt. Er liebte mich und meine Werke von jeher — im neuesten Athenäum nahm er schon viele Invektiven zurük — und jezt mehr und ich ihn; er ist kindlich, sanft und genialisch-auffassend; aber er ist in der Philosophie und Gelehrsamkeit 10mal seichter als ich gedacht; er konte mir auf meine Anti-Fichtianismen so wenig antworten, daß ich glaube, er kent nicht einmal das ganze System. — Franz Koch, der Mundharmonist, dankte mir für seine Empfehlung im Hesperus wegen des Glüks in allen Städten.; ich werde mit in den An schlagzettel gesezt; er gewan hier soviel, daß er sich in der Zeitung bedankte. Er klagt, daß noch ein Psevdo-Harmoniker auch auf den Hesperus reise. — Auch Thieriot mit seiner Geige war hier und durch mich damit bei Herder, Goethe, am Hofe. — Von der Auflage die du erhälst, sind 2000 Exemplare gedrukt, 100 noch bessere Es ist umgekehrt, du bekomst hier die beste; aber beide sind kaum zu unterscheiden., die ich noch nicht habe, und 900 schlechte. — Meinen Aufsaz über die Corday giebt, nach dem Meskatalog der ehrliche Buchhändler so heraus: „historisches Taschenbuch f. 1801 heraus[ge]geben von F. Genz und Jean Paul“ — Schreibe mir von meinem Samuel

Federn! — Bier! —

Was du von der Liebmännin schreibst, diese Sinlichkeit war ihr längst anzusehen und anzuhören. Aber hierüber bin ich deiner theologischen orthodoxen Meinung längst nicht mehr sowenig wie Herder. Schon in meinem Hesperus sagt’ ich von Klotilden ahnend, aber ver dekt: in der höchsten Liebe sind die besten Mädgen wie die guten. Anders: jezt weis ichs gewis: aus Liebe sind sie alle, alle sinlich und es komt nur auf die Schlechtigkeit, gehaltene Stufenfolge und das besonnene Feuer des Mannes an, jede die ihn heftig liebt, zum lezten Punkt zu führen, weil diesen die Natur mit eben so vielem Rechte begehrt wie den Kus, und weil der Punkt nicht an und für sich, sondern nur unter Bedingungen (wie Essen und Trinken und Küssen) unmoralisch ist, indes z. B. Lüge etc. es unter jeder ist. Hier veracht’ ich blos den Man; denn das Weib nüzet 〈befolgt〉, aber giebt nicht den Anlas. Liebe aus Sinlichkeit hat die Bessere nicht, aber wohl Sinlichkeit aus Liebe. — Und doch nehm’ ich nichts von meiner alten Achtung für die weibliche Reinheit zurük; keine (gute) glaubt, daß sie fallen könne, weil keine sogar ihre körperliche unbändige Reizbarkeit d. h. Betrun[ken]heit kent; daher kommen ihre komischen Verwunderungen, daß eine fiel und anders handelte als sie sprach; (da sie doch dachte wie sie sprach); sie glauben, weil sie die Versuchung nicht wünschen, sie darum auch besiegen zu können, oder auch weil sie sich bei derselben nie den Geliebten sondern einen Fremden denken oder weil sie sie sich gleich mit dem Höllenfeuer 〈Extrem〉 denken ohne den langen Höllenweg 〈die Gradazion〉 dazu. Diese Kentnis, mus ich dir sagen, macht einen eigentlich nicht sonderlich moralisch stark bei diesem Geschlecht, weil man dabei auf keine Subsidien zu rechnen hat als auf eigne. — Ich habe entscheidende Erfahrungen; und bin blos über die Art verlegen, wie ich öffentlich die Mädgen hierüber warnen sol.

Hier sol der nöthige Saz stehen: daß ich — juristisch betrachtet, aber gar nicht moralisch — durch eigne Fügungen des Schiksals seit meiner Abreise aus Schwarzenbach in die — Prima noch derselbe juristische Junggeselle bin, fast. wär’ einmal das Gegentheil, würd’ ich dirs so frei bekennen wie Rousseau der Welt, der 100 etc. mal gefehlt.

Ach wie meine Seele sonst so heilig war und so dum! Der Teufel hole das erste zerrüttende Wort, das mir die Kalb sagte und was fort brante! — Und doch kan ich Freundinnen früherer Zeit nur in jenem magischen Lichte anschauen, so sehr, daß ich deiner Nachricht wegen der Liebmännin — deren tadelhafte Antwort „es siehts niemand“ schon eine tadelhafte Frage und also einen zweideutigen Referendar voraussezt — auf ihr Ankündigungsbillet, blos weil die Kohle meiner Liebe für sie ins Wasser gefallen war, einen Anstandsbrief zurükschrieb und mich mit der Berlin[er] Reise entschuldigte. Den Tag darauf kamen beide. Ich liebte die schöne Freundin recht herzlich wieder und wir waren froh; — später gieng sie zur Schrœder; da verlangte er 200 rtl. geliehen — 80 gab ich ihm doch; aber er ist so zerstreuet und leer, daß er in den Schein den gar nicht sezte, ders ihm geliehen, sondern nur sich. Aber ich kan und darf dem Glauben an die Menschheit nichts abschlagen, daher ich heute für einen fremden hypochondrischen Doktor aus Schwaben bei einem Buchbinder bürgte, der ihm ein Miethpferd nach Gotha geliehen. Noch hat mich der Verlas auf Menschheit und Physiognomie nicht betrogen und bestraft.

Leipzig d. 19. Mai [Montag].

Es war keine Zeit zum Einbinden des Clavis. Ändere erstlich alle angezeigte Drukfehler, weil sie nicht heraus zu rathen sind und besonders den nicht angezeigten: in der Vorrede S. IX v. u. Zeile 4. lies stat frei freier.

Passe ja mit deinem Antworten nicht auf meine Zurükkehr; die früher da ist als der doppelte Brieflauf. — Ich wil nicht lange in Berlin bleiben. Über Dessau geh’ ich zurük.

Herder fand in Ilmenau Caroline über alle meine Malereien und fast über alle Weiber, und betete sie an, wie sie ihn anbetete. Es war[en] die blauesten Maitage. Sie hat etwas Hohes Ungemeines, was sogar die Weltleute ergrif und die Herderin übertraf. Seit dieser Reise ist mein Bund mit ihr —— aufgelöset; und nach einem Brief, in dem ich ihr alles auseinandergesezt, erwart’ ich von ihr das ewige Trennungswort. Ich kan dir unmöglich dieses lange Räthsel, worin nur moralische Karaktere spielen, auflösen. Nun treibt und stürmt mich das Schiksal wieder in ein unbestimtes wüstes Leben hinein in einer innern Verfassung, worüber es keine Worte giebt. Meine Gesundheit ist fest, ob sie wohl in Ilmenau an einer Vormittagsszene wankte. Lebe wohl!

Den Freitag geh ich nach Berlin.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Christian Otto. Weimar und Leipzig, 16. Mai 1800 bis 19. Mai 1800. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_466


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959. Briefnr.: 474. Seite(n): 332-335 (Brieftext) und 510-511 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Goethe- u. Schiller-Archiv. 7½ S. 4°. K: Otto 16—19. Mai. J 1: Otto 3,273×. J 2: Nerrlich Nr. 76. B: IV. Abt., III.2, Nr. 371. A: IV. Abt., III.2, Nr. 389. 332,21 müste] aus möchte H 22 gerührter] aus rührender H 29 und zu] nachtr. H besserem] aus bessern H 32 Euch] aus euch H (vielleicht von anderer Hand) 33 dazu] nachtr. H 35 überfliessende] aus überflüssige H 36 hineintragen] aus tragen H dürfte] könte K 333,1 1½ Tag1] nachtr. H 16 nach dem Meskatalog] nachtr. H 17 herausgeben] nachtr. H 21 längst] nachtr. H 22 orthodoxen] nachtr. H 23 von Klotilden] nachtr. H 27 besonnene] nachtr. H ihn] davor gestr. er H 28 diesen] aus ihn H eben] nachtr. H 29 der] aus jener aus dieser H 31 indes bis ist] nachtr. H 33 wohl] nachtr. H 35 bekomst] davor gestr. hast H 334,8 sie1] nachtr. H 12 Ich bis 14 sol.] nachtr. H 17 noch] nachtr. H juristische Junggeselle] nachtr. H 18 fast] stand erst vor 16 seit H 20f. fortbrante] aus fortbrent H 25 meiner] aus der H 32 und darf] nachtr. H 33 fremden] nachtr. H 34 bürgte] aus stand H 335,19 ein] nachtr. H in2] aus mit H

Angekommen 27. Mai mit dem 1. Band des Titan nebst Anhang und Clavis. 332, 24 —26 Albrecht Otto hatte sich verlobt und war Amtmann in Kotzau geworden; Christian sah sich dadurch zu pekuniären Einschränkungen genötigt. 31 Namenstag: 14. Mai (Christian); am 13. war Friederike Otto in Wunsiedel mit Wernlein getraut worden. 34 Ehrentag: am 30. Juni wurde Otto mit Amöne getraut. 333, 3 f. Athenäum: 3. Bd., S. 113, im „Brief über den Roman“. 13 Auflage: vom Titan; vgl. zu Nr. 440. 15—18 Vgl. Nr. 492a. 20ff. Karoline Liebmann war, nach B, acht Wochen nach ihrer Heirat „mit guten Hoffnungen, die besser als von 20 Wochen“, in Hof gewesen und hatte auf Vorhalten unbefangen geäußert, man sehe es doch nicht. 23 Hesperus: I.Abt., IV, 164,7f. 25ff. Vgl. I.Abt., IX, 127,10—18, XII, 232,35ff. (Levana, § 87). 334, 20 Kalb: vgl. 139, 32 f. 32ff. Vgl. I.Abt., X, 375,31ff. (Walt); Doktor aus Schwaben: ein in Jean Pauls Nachlaß (Fasz. 10) vorhandenes Verzeichnis von Personen, mit denen er bekannt geworden war, nennt unterm Jahre 1800 einen Dr. Eisenlohr aus Tübingen, vermutlich Christian Friedrich E., Verf. von „Historischen Bemerkungen über die Taufe“, Tübingen 1804. 335, 6 f. I.Abt., IX, 461, 33 .