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Von Jean Paul an Christian Otto. Weimar, 21. August 1800 bis 31. August 1800.

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Weimar d. 21 Aug. 1800 .

Alter! Blos die Sehnsucht treibt mich über das Postpapier und ich weis nicht, was ich dir eigentlich darauf zu sagen habe ausser ihr. Sogar wenig Licht hab’ ich über deinen jezigen Stuben-, Schreib- und Nähr-Etat. Auch nach Amöne verlang’ ich wie nach Friederike; dieses Landen in einer ganz neuen Welt führt Amöne mir immer näher und lieber zu und ich möchte sie sehen. Für Morgen denkst du heute — nach meinen alten Kalendern — auf etwas für ihren Geburtstag. In der Ehe, wo alle Adern und Nerven anastomosieren, ist der fremde eheliche mehr als der eigne und jeder andere. Mein Herz wünscht Ihrem [!] Freude und Stille und dein Glük.

— Lies doch Hippels Leben im Nekrolog und den „armen Man von Toggenburg“ dessen Tagebuch mir nasse Augen gegeben, zu denen jezt mein Kopf durch andere selten komt, obwohl oft durch eignes Schreiben und Musizieren. — Über meinen 1. Absagungsbrief an C., ders noch nicht so bestimt ist wie der 2te aus Berlin, der gleich in den ersten Tagen da geschrieben wurde, merk’ ich noch an: daß ich schon ganz entschieden war für mein Nein, schon in Ilmenau — (und mein hiesiger Brief an die Herder beweiset es) daß ich aber der guten C. die Ehre des Neins zulassen wolte, die freilich als sie sie nicht annahm, dan mir zufiel.

Über H[erders] Partheilichkeit überal steigt nichts. Dieser grosse Bilder-Kenner fand ihres — das wie ich nachher erfuhr der Maler in einer 1 ½stündigen Sizung des Originals gemacht, und dem er die lezte Hand (Pfote) ohne dieses in Meinungen gegeben — recht treffend; ich bat sie, das elende Ding Sie hat es ihm jezt abgefodert (ein wenig aus Unmuth gegen H.) stat mir, ihm zu schenken. Steht in einem französischen oder andern Journal etwas gegen Goethe oder gar Schiller: so wirds gepriesen und umhergeschikt. Mein öffentliches Lobpreisen des durchaus gemishandelten Jacobi — und ein wenig die verschlungnen Windungen, die das Schiksal und Urtheil der C. nahm — verdecken ihm seinen wärmsten Freund, den er und sie für zu stolz und nun bald kleiner Makulatur-Angriffe würdig halten werden. Ach wie lieben die Menschen! — Und doch werfen sie nachher dem Veränderung vor, in den sie sie hineingezwungen. Das andere Auge wird dan für ein anderes Herz gehalten. Begehe nie diesen Irthum an mir; ob ich gleich meine Höfer Augengläser zerbrochen und mir neue schärfere geschliffen habe.

Alle Welt schwört, — schon in Berlin —, ich sei da viel fetter geworden; warlich ich fühle mich überal gepolstert an; und doch würde man mich im Vogtland damit kränken, daß man es läugnete, welches die einzige Veränderung ist, die man mir misgönt, weil sie verschönert Du hast mich lange nicht gepriesen und ich weis nicht was ich daraus machen sol..

Auch Göthe ist — wenigstens äusserlich — partheiisch; jezt schweigen er und Schiller über das gelobte Gedicht der Imhof stil, das ich fort lobe. „Wie gefält Ihnen Jacobis Brief an Fichte?“ fragt ich ihn. — „Er bleibt sich gleich.“ — „Gott und auch der Teufel bleiben sich gleich“ sagt’ ich; darauf bleibt er aus Unbehülflichkeit und Stolz und Zorn dan — stum. Kein Epigram kan ihn in Bewegung stochern.

d. 25. Aug.

Dein mich begeisternder und erbitternder heutiger Brief hat meine Pferde, (Morgen nach Rudolstadt) abbestelt. Es ist gar zu arg, einer eignen Frau Kupler zu sein und ihre Küsse zu vermiethen und die heilige Jugendliebe, gleichsam die Herzensnerven zu Fang- und Nezstricken zu machen.. An fangs schrieb sie mir nur einen Präliminarbrief — dan einen 2ten mit der Drohung des Kommens — dan als ich sagen lies, sie solten bis auf [meine] Berliner Rükkehr warten, damit sie mich nicht verfehlten, waren beide den andern Morgen gerührt vor der Thüre. Sie muste zum 2ten mal zur Schroeder durchaus; (er hatte sich unterdes aus meinen Flaschen Muth angesoffen) da trug er mir sein Vertrauen an. Ob ich gleich wuste, daß sie mich nur zur Einschläferung nach R. ziehen wolten: so fügt’ ich mich doch; aber da ich, nach deinem Briefe, keine Liebe mehr mitbringen und ohne diese nirgends sein kan: so ärger’ ich mich blos, daß ich gestern nicht nach Cassel gefahren bin, wohin ich mit einem guten Amtman (Weissenborn aus Gera) 2 Freundinnen entgegen kommen solte.

— Stat deiner Heftigkeit defendiere lieber deine Milde; beim Teufel, der das Pak und den Alten mit den 17 fl. — die mich ordent lich kränken und jammern — holen wird, hiebei ist nichts zu thun als zu schnauben und um sich zu hauen. — Dein A[lbrech]t war von jeher egoistisch; nur das deiner Familie eigne Ehrgefühl und ein ästhetisches Streiflicht liessen ihn nicht ganz mit seinem Trivial-Klub zusammenrinnen.

Desto herlicher glänzet dein Emanuel und du; ihr seid euch un entbehrlich und unzertrenlich. Mit Ahlefeldt glaub’ ich gerade so Säkula lang auszukommen als mit Oertel Tage lang, jene gut, diese schlecht. Es giebt einen tugendhaften Egoismus (Berlepsch, Oertel, Caroline etc.), und so einen Stolz, wogegen sich alle meine Fibern giftig rüsten und wehren; einen andern Egoismus, und Eitelkeit ertrag ich viel lieber. Ahlefeldt wird sanft gegen mich und ich dadurch strenge gegen den H. J. P. sein.

Es ist freilich komisch, daß meine Treppe zum Ehebette (nach dir) unendlich-lang sein sol. Ich sorg’ indes, in Berlin spring’ ich hinein; aber es mus blos ein sanftes Mädgen darin liegen, das mir etwas kochen kan und das mit mir lacht und weint. Mehr begehr’ ich gar nicht. Das Schiksal wird mich doch nicht in Göthes Pferdefus Stapfen jagen wollen, oft überleg’ ichs freilich, aber es ist nicht daran zu denken; sogar in einer solchen Un-Ehe sänn’ ich wieder auf Ehe. Ich mus und werde ein Mädgen heirathen, dessen ganze Sipschaft ein Freudenfest feiert, daß ich mich herabgelassen. Und doch spekulier’ ich seit einiger Zeit fast mit auf Eingebrachtes; eine bemittelte Gräfin oder so etwas, denk’ ich oft, kan sich in dich verschiessen und dan hieltest du dir dein Reitpferd — wenigstens den Reitknecht — und sprengtest nach Bayreuth und überhaupt das Fet wüchse fort, das sich jezt ansezt. —

Fichte ist in Berlin, sol Sontags moralische Vorlesungen halten. Ich besah ihn nicht — so wenig

d. 26.

als die Gelehrten-Revüe in den Klubs wozu ich geladen war. In Jena gefiel er mir mit seiner Zungen- und Ideen-Schneide. Er sol wie Wolt man einem Wiener 〈Baron v. Serdagna (ein herlicher Mensch)〉 sagte, sehr tol über den Clavis sein. Packen mich blos seine Wind und Schweishunde an: so schweig’ ich; thuts aber der Jäger, so fall’ ich auch an. —

Ich war seitdem wieder in Gotha. Der Erbprinz hat die Titano Manie und fürchtet blos die Unmöglichkeit, den Titan so fortzusezen. Von Lilar wil er mir Zeichnungen entwerfen lassen und senden. —

Du thatest überal in deinem Briefe Recht. — Sobald du noch einmal die fremden Brief-Akten, die ich dir immer wilkürlich zuschlage, frankierest: halt’ ich damit zurük.

Hier fand ich endlich Glas- oder holländische Kiele aus, 25 à  24gr.

„Die Reden über die Religion für gebildete Verächter derselben“ (von Schleiermacher in Berlin) kamen heraus in Berlin bei Unger.

Fichte hat in Berlin wenig Gefolge Die Jüdinnen sind ihm durch meine Person und den clavis abtrünnig ge worden, schreibt Büri an H[erder]. ; Nicolai sagte mir, er schweige im Klub. Ich wolte Nicolai thät’ es — so zeit-mörderisch erzählt niemand wie er.

Ganze Brieffeleisen müst’ ich dir schicken und ich lese nicht immer am besten aus. Künftig — fixier’ ich mich anders nicht — mach’ ich mir ein Portativ-Museum und lebe also auch in Bayreuth einen Monat.

Wie die gute Caroline mit ihren Schmerzen in meiner Brust lebt, braucht’ ich dir nicht zu sagen, wenn du meine gerührte Antwort auf ihre edle gelesen hättest, in die ich Balsam für ihre tiefen Einschnitte legte. Aber sie hätte doch nicht aus dem Balsam so etwas wie neuen Kit wieder ziehen sollen. Jezt lieb ich sie gerade am meisten; und fühle doch bei dem ersten Gedanken des Besizes, daß es dan wieder vorbei wäre. Aber solchen ehrlosen Verwandten wie deinen hätt ich nie ange höret; meine wären alle rechtlich und ehrliebend gewesen.

Danke Gott daß du Emanuel hast, und er, daß du da bist. — Was du mir von Amöne schriebst, gefält mir so daß ich beinah an sie geschrieben hätte, wenn ichs nicht noch thue.

Adieu! mein guter alter lieber Otto!


R.
Neues Blatt

Längst wolt’ ich Ihnen, vortrefliche Freundin, den Dank für Ihre Taschenbücher selber bringen — und diese dazu —, wenn mich nicht meine Berliner-Wanderung an jeder kleinern gehindert hätte. Aber eh’ ich wieder dahin die grössere für den Herbst und Winter antrete, mach’ ich gewis die nähere zu Ihnen.

Das Beiliegende bitt’ ich Sie die Treppe hinab —zuschicken ins Intelligenzbureau. Um die schnelle Einrückung dieser 1 ½ Zeilen bitt’ ich sehr.

Ich vermuthe, daß Ihr H. Gemahl den Clavis F. bekommen, den ich ihm geschikt.

[30. Aug.]

Nur noch einiges trag’ ich nach; das vorige gehörte an Mdme Schüz in Jena. Übermorgen, an Egydy geht der Brief ab. Ich auch; aber wieder nach Gotha. Nämlich eine schöne junge 〈25jährige〉 geschiedene Gräfin v. Schlaberndorf aus Berlin kam meiner Bitte nicht nur zuvor, sondern sie wil mich auch durchaus nach Eisenach mithaben, „um das Schöne nicht allein zu geniessen“ (ernstlich ich antwortet’ ihr, ich wäre doch neben ihr immer in diesem Fal) und sie gienge, gienge ich mit, auch nach Cassel. Ich überdenk’ es hin und her; es käm’ auf das alte Reise- und Weiber-Fazit heraus; aber erstlich trau’ ich ihr troz ihrer moralischen Folie nicht ganz; zweitens wil ich sehen. — „Ich mus meine noch wenigen Wochen in Weimar, sag ich überal, benuzen und noch recht verreisen.“

Gehab dich wohl.

d. 31 Aug. [Sonntag]

Es kan noch das Annexum geschrieben werden, daß ich in Berlin, wohin ich zu Michaelis gehe, in der neuen Friedrichs Strasse wohne abzugeben bei H. Regierungsassessor v. Ahlefeldt. Mit der schönen Gräfin geh’ ich — wegen Geld-, Zeit- und Freiheitsaufwand — nicht nach Eisenach, sondern nur nach Gotha; sie mag daher auch nicht dahin, sondern bleibt morgen meinetwegen unter einerlei Dachstuhl mit mir. Im Oktober wil sie, wie sie heute aber nicht vorgestern sagte, wieder nach Berlin. Herdern gefält sie. Denke dir mich unter dem Bilde eines Hasens, den der Jäger in immer nähern Kreisen umschleicht: so hast du es. Wir sind jezt bei dem Hände Anfassen mit eingemischten leichten Drucken. Ich halte mich passiv; und dabei kan keine Parthei sehr risquieren .. — Adieu! vergieb dem „spassigen“ Freund. — Bei Fr. Schlegel as ich diese Woche. Seine Kebs-Hälfte — Md. Veit, Tochter Mendelssohns — gefält mir durch Verstand, Bestimtheit, Einfachheit und Originalität.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Christian Otto. Weimar, 21. August 1800 bis 31. August 1800. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_512


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959. Briefnr.: 526. Seite(n): 367-372 (Brieftext) und 523-524 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 15¾ S. 8°. K: Otto 21 Aug. J 1: Otto 3,324×. J 2: Nerrlich Nr. 79×. B: IV. Abt., III.2, Nr. 416. A: IV. Abt., III.1, Nr. 428. 367,12 Für] nachtr. aus Auf H 15 eheliche] nachtr. H 20 Absagungsbriefs H 29 gegeben] aus gab H 31 oder andern] nachtr. H 32 öffentliches] nachtr. H 368,2 nun bald ... würdig halten werden] aus also ... nun schon würdig halten H 6 meine] davor gestr. alle H 7 schärfere] aus gute H 16 bleiben] aus bleibt H 20 heutiger] nachtr. H 21 (Morgen] davor gestr. für H 22 einer bis sein] aus eine Frau zu[r] Kuplerin zu machen H 369,12 Säkula] davor gestr. gut aus H 14 giftig] nachtr. H 19 indes] aus aber H 20.21 das] beidemal aus die H, die K 23 wollen] nachtr. H 24 sänn’ ich] aus sänne man H 25 dessen] aus wovon die H 29 dein] aus ein eignes H wenigstens den Reitknecht] aus den Reitknecht doch H 33 Datum nachtr. H 37f. Wind- und Schweishunde] aus Jagdhunde H 370,5 und senden] nachtr. H 27 schriebst] aus schreibst H 371,2 dahin] nachtr. H 11 Übermorgen] nachtr. H An H 15 das Schöne] nachtr. H antwortet’] aus sagt H 17 auch] aus mit H 18 und Weiber-] nachtr. H 27 geh’] aus mag H 29 Dachstuhl] aus Ziegeln H 34 kan bis 35 risquieren] aus risquiert niemand H 372,1 Mendelssohns] aus Mendelsohns H

367,23 f. Brief an die Herder: nicht erhalten, vielleicht der 331, 28 erwähnte verlorene Brief. 368, 14 Gedicht der Imhoff: „Die Schwestern von Lesbos“, s. 247, 8 —11. 20ff. Die betreffende Stelle in B über die Liebmanns ist nicht erhalten. 369, 4 Der Alte ist jedenfalls Herold; auch hier fehlt die betreffende Stelle. 6f. Von Albrecht Otto heißt es in B: „Sein neues Verhältnis [Verheiratung] hat ihn ganz zu sich hingenommen; und deswegen und sonst auch sah er meine Abreise gern.“ 10 Emanuel hatte Ottos Wohnung in Bayreuth besorgt und eingerichtet. 18f. Vgl. B: „es gehört nichts für dich als ein ewiges junggeselliges Jünglings-Leben, das das Ziel der Ehe vor sich hat und, immer unerreicht, es doch nicht aufgibt, sondern behält.“ 31ff. Otto hatte im Auftrag von Seebeck (s. 19, 25 †) gefragt, was Jean Paul in Berlin von Fichte gesehen oder gehört habe. Einem Brief Merkels an Böttiger vom 29. April 1800 (H: Dresden) zufolge hielt Fichte damals jeden zweiten Sonntag in der Loge eine maurerische Rede. 36 Wahrscheinlich Sardagna, vgl. Wurzbachs Biogr. Lexikon XXVIII, 241ff. und Schillers Briefe, hrsg. von Jonas, Bd. VI, S. 478 (Sadargna). 370, 10 f. Seebeck hatte wissen wollen, wo die im Clavis (I. Abt., IX, 476, 36 ) erwähnten „ Reden über die Religion“ erschienen seien. 24f. Otto hatte geschrieben: „Danke Gott, daß du von der verhaßten Familie der K[aroline] getrennt worden bist ... Glaube mir, kein Engel kann das Angrenzen an eine solche Familie vergüten, mag man auch das Andenken an sie und die leiseste Berührung zu vermeiden suchen, wie ich es thue.“ 31ff. Jean Paul hat aus Scherz und Papierersparnis ein nicht abgeschicktes Briefblatt an Frau Schütz verwendet; vgl. Nr. 463. 371, 13 Gräfin Schlabrendorff: s. Nr. 524†. 18 Jean Paul denkt an die Erfahrung seiner Dresdner Reise mit der Berlepsch, vgl. 66, 35 ff.