Von Jean Paul an Amöne Herold. Leipzig, 19. Februar 1798 bis 21. Februar 1798.
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42,6
Endlich, Geliebte, kan ich Sie wieder anreden. Ich war neulich
mit der Berlepsch in Belgershain einige Tage; und heute kam
Oertel
mit seiner Frau — zum erstenmale seit meiner hiesigen
Existenz —
42,10
herein. Beide haben einen warmen Sonnenschein des
Glüks um
und in sich, wie er wenigen Menschen, besonders
verheiratheten
leuchtet;
und beide fürchten nichts auf der Erde als die lezte Trennung. Sie mis42,15
verstehn ihn über sein Schweigen: er
wird es oft unterbrechen und
Sie werden es auch thun. Es
ist sein Entschlus — kein einwirken
der — er sagt, was könt’ er
Ihnen mitten im Königreiche der Liebe
mit blossen papiernen
Erscheinungen sein und geben. Er liebt Sie so
zart und so
heis und so sehnsüchtig wie immer. Wir reden oft von42,20
Ihnen. Ach es wird Jahre lang werden, bis er in die immergrünenden
Gegenden seiner Erinnerung einmal reiset zu Ihnen.
In Ihren Briefen find’ ich freudig immer tiefere Ruhe und Zurük
schauung auf Ihr Herz. Sie werden
einmal, wenn das Schiksal Ihre
Räthsel und Sorgen gelöset
hat, leicht alle Ihre schönen moralischen42,25
Kräfte
entfalten: ach dem Menschen fehlen oft weniger die Flügel, als
die Anhöhe, auf der er den Flug anfängt. —
Wie stehen Sie und andere mit Wernlein und Renate? — Ich er-
fahre fast nichts von Hof als daß es
einen andern König hat.
Über Ihre Kopfschmerzen hätt’ ich gern hier den D. Kapp
gefragt,
42,30
wenn ich ihn wieder gesehen und wenn Sie mir stat
des lezten Sym
ptoms der Krankheit die
vorhergehenden geschrieben hätten. Joer-
dens[ische] Mittel löschen im
Dache, und lassen es in den andern Stok
werken brennen. Stärkende Mittel sind die besten für Sie.
Wenn ich in Hof den Gasthof nicht behalten darf, so werd’ ich
43,1
Otto’s Gaststube wählen oder höchstens halb in seiner halb
in Ihrer
wohnen müssen. Ich dank’ Ihnen herzlich für die anbietende
Liebe.
O liebe Amöne, es wird uns beiden, wenigstens
Ihnen unbegreiflich
sein, — wenn wir einmal im Frühling vol
höchster einiger harmo43,5
nischer
Liebe den alten Bund erneuern und einen ewigen besiegeln —,
wie wir ihn so oft zerreissen konten. Leipzig hat mich vielleicht ver-
ändert, nämlich verbessert, aber das
ist gewis die Ursache nicht allein
— Heute wiederholt sich
gerade jener Aschermitwoch, woran ich
einmal an Sie mit so
viel scheidender und opfernder Liebe geschrieben43,10
habe und wo Sie und ich zugleich rechtschaffen handelten.
Bringen Sie in Ihre Briefe bestimtere Fragen, moralische Räthsel,
damit wir leichter und nüzlicher an einander schreiben.
Ach du liebe Seele! In der meinigen bleibst du mit einem unver
gänglichen Reize so wie deine
Bekantinnen. Du bist ein glänzender43,15
Theil meiner
Jugend und meiner idealischen Träume, worin ich nicht
wie
Adam schaffen sah, sondern schuf. Du würdest dich über meine ewig
lodernde Wärme noch mehr freuen, wenn du alle meine
hiesigen aus
wehenden zertheilenden
Verhältnisse kentest. Und so werd ich dich
fortlieben von
einem Jahr ins andre bis ins kalte stille Alter, und43,20
einmal, wenn du ganz glüklich bist, werd ich dich noch mehr lieben,
weil dan mein Freund es auch ist. —
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Amöne Herold. Leipzig, 19. Februar 1798 bis 21. Februar 1798. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=III_55
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Kunst- u. Altertümersammlung der Veste Coburg. 6 S. 8°. K (nach Nr. 57): Amön. 19 Febr. J: Otto 4,259 u. 271 (vermischt mit Nr. 200). B: IV. Abt., III.1, Nr. 26? 42, 14 Datum nachtr., kein Absatz H 24 ihre H 27 auf] aus von H 43,5 einmal] nachtr. H 11 und1 bis handelten] nachtr. H 16 worin] aus wo H
42,15 ff. Amöne hatte Oertels Schweigen ihr gegenüber der Eifersucht seiner Frau zugeschrieben, wohl nicht ganz mit Unrecht, vgl. 160, 13 f. 29 einen andern König: Friedrich Wilhelm III. 30 Christian Erhard Kapp (1739—1824), bekannter Leipziger Arzt. 32f. Wohl der „schwarze“ Dr. Joerdens in Hof, vgl. Bd. I, zu Nr. 58; Amöne schreibt in B, ihr Doktor habe ihr Schnupfen von Majoran mit Zucker geraten, das aber wenig helfe, und bittet, ihr deswegen bald zu schreiben. 43, 9 Aschermittwoch: s. Bd. I, Nr. 413. 16f. Vgl. 132, 25 †. 22 mein Freund: Chr. Otto.