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Korrespondenz

Von Jean Paul an Johann Christian Conrad Moritz. Hof, 30. Oktober 1795.

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[Druck]

Hof d. 30 Oct. 1795 .
Mein Lieber,

Ihre schönen Briefe sind mir eine camera obscura oder lucida, worin ich die Zimmer unsers Freundes Mazdorf so deutlich, und mit solcher Sehnsucht, hineinzutreten, sehe, daß ich wahrscheinlich diese Sehnsucht durch den Postwagen im künftigen Frühling stillen werde. —

Die Mauriziana in Ihrem lezten Briefe verdienen mehrere Leser; und ich bitte Sie, im künftigen Kniestük von Reiser sie nicht aus zulassen. Ich bitte Sie blos um notas variorum zum Hartknopf, nicht um diesen selber, weil ich ihn, wie alle meine Schoos-Bücher von Herder, Göthe, Sterne, Swift etc. auswendig kan, und weil er hier nicht blos in, sondern auch ausser meinem Kopfe ist. — Es wird, glaub’ ich, für das fremde Interesse und für das eigne Erinnern gut sein, wenn der väterliche dualis, der uns die Fortsezung von Reiser giebt, einzelne Tage — Weihnachts-, Neujahrs-, Investitur-, Abreisetage etc. — wählt, und in ihnen durch eine fortgehende Schilderung, die von Morgen gegen Abend geht, Reisers edle Anomalien aufzählt, anstat einen Archipelagus schwimmender isolierter Inseln von Bemerkungen zu liefern. So wird es dramatisch und individualisiert: der Mensch wil nichts ohne Zusammenhang, wenigstens [nicht] ohne den der Zeit.

Sie verzeihen, ich kleide meinen Wunsch in einen Rath ein, wie andere umgekehrt.

Nur ein Wort auf Ihr Wort über Ihre sogenante Resignazion auf glänzende Pro- und Adspekten. — Beim Himmel! wir Menschen kleben troz aller gallischen und stoischen Philosophie noch zu sehr an der Vergötterung der Stände. — Es giebt in der Welt nur zwei Stände, den aufgeklärten und den blinden — den lesenden und den buchstabierenden. — Da Sie so sehr zum erstern gehören — da das Herz eines grossen Bruders und Ihres Sie so bald über die irdischen Nebel erhoben hat — da es troz aller deutschen Ungleichheit der Güter doch eine Gleichheit der höhern, der Bücher, giebt — und da die Sonne des Buchhandels in Buchläden noch eher scheint als in fürstliche bou- doirs — — worüber hätten Sie zu klagen? Verschmähen Sie den rauschenden Prunk um sich — Ihr Herz bewahre das Lehrgebäude der Weisheit und Tugend, — alles andere, Aemter und Güter und Titel, sind die blossen jämmerlichen Baugerüste, die man durch das Gebäude schon ersezen kan. Leben Sie wol, mein Freund.


Ihr Freund Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Johann Christian Conrad Moritz. Hof, 30. Oktober 1795. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_186


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958. Briefnr.: 187. Seite(n): 124-125 (Brieftext) und 431-432 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

K (nach Nr. 188): Moriz 4 Nov. [!] * J: Anekdotenalmanach auf 1827, S. 226. (Wiederabgedr. Nachlaß 4,262 und E. C. v. Hagen, Über Jean Pauls Aufenthalt in Bayreuth, 2. Aufl., Bayreuth 1863, S. 21.) 124,21 Dualis K

Jedenfalls erst mit Nr. 188 zusammen abgeschickt, s. 122, 12. Vgl. Nr. 168†. Moritz schreibt in B: „Hrn. Matzdorff gefällt Ihre Idee von den musivischen Steingen und von dem Rahmen, wodurch Sie ihnen Interesse geben würden, sehr, so daß er schon die Abende des bevorstehenden Winters zu diesem unterhaltenden Geschäfte bestimmt hat ... Von dem Hartknopf und besonders von dessen Predigerjahren habe ich Ihnen noch zu viel zu schreiben, als daß es den Raum eines Briefes nicht überschreiten sollte, oder ich Sie doch wenigstens vorher nicht fragen müßte, ob Sie das Büchelchen besitzen, oder ich es Ihnen erst senden soll, damit ich nur immer darauf verweisen dürfte.“ Vgl. Bd. I, 195,1† und 363,27†. 124, 31 Resignation: Moritz hatte geschrieben: „Meine Tage schleichen so sanft und gaukelnd vorbei, daß meine sonstige Sehnsucht nach glänzenderm Glück sich schon im Traume verliert.“