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Korrespondenz

Von Jean Paul an Emanuel. Hof, 24. Dezember 1795.

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Hof d. 24 Dez. 95.
Mein geliebter Emanuel,

Wie ehrwürdig und theuer werden Sie meiner Seele durch die Schmerzen der Ihrigen! Ich sehe durch Ihre Brust hindurch Ihr Herz unter den thierischen Krallen bluten, die sich hineingeschlagen haben und ich möchte Sie mit allen Wunden an meinem haben. (Ueber Ihr Geschik schweig’ ich — das Bild Ihres Verfolgers erschüttert meine Menschenliebe — Sie haben nur einen Trost, aber den grösten: daß, da jeder bei seinen Krankheiten, bei Verfolgungen etc. zu sich sagen mus: „ich bin wenigstens nicht ganz unschuldig an meinen Leiden“, daß Sie hingegen sagen können: „für diese unsäglichen kan ich nichts, gar nichts.“) Halten Sie sich fest, Theuerer, auf diesem scharfen rauhen hohen Eisberg des Leidens: Sie haben nur einmal in Ihrem Leben einen solchen Schmerz und nur einmal einen solchen Anlas, den Ewigen anzubeten ohne ihn zu sehen. („Glaub’ an mich — sagt eine heilige Stimme in Ihrem Innern — glaub’ an mich hinter meinem Gewölke — dein Auge vergiesse immer seine Thränen, aber es erhebe sich auch zu mir — ich prüfe dich nicht mehr so, Geliebter.“)

Ich bin zu bewegt, um Ihnen für das Geschenk, mit dessen Wahl — sogar bis auf die äussere Seite — Sie mir den Antheil an Ihrem Schiksal zu versüssen suchten, einen längern Dank zu bringen; es hat meine Seele in zwei unähnliche Hälften getheilt, in die traurige und in eine freudige. — Ich schicke Ihnen hier stat der Bücher, die ich Ihnen neulich anrieth, ein von mir vor 10 Jahren in Leipzig gemachtes Andachtsbuch, das Ihnen kranke Theile meines innern Menschen entblössen wird, die ich vor andern verhülle.

Da ich in diesem Jahre Ihnen zum leztenmale schreibe: so ist mir jezt als gäb’ ich Ihnen die Hand über eine Kluft hinüber und sagte: „komme glüklich hinüber, gute Seele, über den lezten Abgrund dieses „Jahrs! — noch eine schwarze Wolke hast du zu durchwaten, und sie „wird in der Nähe nichts als einige Thränen dieses Lebensschlafes „mehr sein; — dein Genius helfe dir ins neue Jahr hinüber, wo dich „eine schönere Aussicht und ein hellerer Himmel empfangen wird!“


Ihr ewiger Freund Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Emanuel. Hof, 24. Dezember 1795. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_206


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958. Briefnr.: 207. Seite(n): 134-135 (Brieftext) und 435 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

J: Denkw. 1,37 (einem in Emanuels Nachlaß befindlichen Brief Ernst Försters an Therese Aub, Emanuels Tochter, vom 2. März 1862 zufolge nicht auf der Originalhandschrift, sondern auf einer unvollständigen Abschrift beruhend; die Klammern standen vermutlich nicht im Original). A: IV. Abt., II, Nr. 65.

Vgl. zu Nr. 149 und 154. 135, 18–21. Vgl. 128, 14–17. Das Andachtsbuch ist unvollständig abgedruckt Wahrheit 3,295—306; eine alte Abschrift in Emanuels Nachlaß.