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Korrespondenz

Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 4. April 96.

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[ Hof ] d. 4 Apr. 96.

Ich habe fast alle Schmuz- und Fetflecken, die du wahrgenommen, herausgerieben so weit es ohne Nachtheil ihrer Nachbarschaft geschehen konte. Blos Firmians Scheu gegen Weiber kan von mir (nicht als Antikritiker sondern als Gegenstand der Erfahrung) gerettet werden. Ich war nämlich in den Jahren, wo ich mich um kein Urth[ei]l und keinen Stand bekümmerte, doch im höchsten Grade furchtsam gegen das andere Geschlecht, gerade nach Verhältnis seines Rangs. Einen zweiten Grund hast [du] schon angegeben. Nimst du noch Nataliens Kentnisse, und Kühnheit gegen unser Geschlecht dazu: so gehts schon. Etwas mag auf mich mein künftiger „Titan“ wirken, aus dem mir Leibgeber mit Glorie wie ein vom Aufgange vergrösserter Stern herüberleuchtet. — Und dieses Titans wegen, hab ich jezt kaum das Herz, mich Naturschilderungen zu überlassen: dort drinnen sollen sie alle brennen und funkeln und ich hebe sie auf — es ist aber einfältig. — Leider hängen um das Buch noch eine Menge unentzifferter Ohren — anstat daß um faule Schüler die Insignie[n] des ganzen Thieres hängen — ich habe daher Blätgen eingelegt, damit du nichts überspringst. — Das Sizenlassen der Pfänder kam nur von meiner Unwissenheit, daß es dem Pfandgläubiger schade. — Die Szene mit Natalie in der Fantaisie liegt wie eine sanfte Mondnacht vor mir und ich freue mich, wenn ich einmal in Bayreuth die Stätten be suchen werde: ich hätte in meinen andern Büchern nur auch mehr meinem Gefühle, das mir solche Szenen vergeblich rein vorhielt, mehr folgen sollen als der Sucht, eine Musaik von böhmischen Steinen zusammenzulegen.

— Du hast überal so schöne kritische Bemerkungen, daß ich sie einmal, wenn ich ein Buch darüber mache, in algemeinen Säzen ohne Beziehung auf mich und unter deinem Namen 〈permissis permittendis〉 andern Leuten geben wil: es ist mein Tod, wenn einer allein eine Sache wissen sol. — Ich bleibe immer mehr im Dank gegen dich zurük und halb in der Kentnis deines Wegs; da du fortarbeitest, ohne mir mehr etwas zu zeigen: warum thust du das? — Ich danke dir herzlich für deine Mühen und Verdienste um mich: du legitimierest alzeit erst in meinen Augen meine Abkömlinge und ich halte sie dan für ächt.


Dein Freund Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 4. April 96. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_279


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958. Briefnr.: 280. Seite(n): 174-175 (Brieftext) und 449 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 4 S. 8°. J: Otto 1,305. 174,25 Antikritiker] davor nachtr., aber wieder gestr. einem 32 vom] davor gestr. beim 175,1 um das] aus auf dem unentzifferter] nachtr. 8 nur auch mehr] nachtr. 14 auf mich] nachtr. 20 erst] nachtr.

Die betreffende Siebenkäs-Kritik Ottos ist nicht erhalten. 174, 24 Firmians Scheu gegen Weiber: vgl. I. Abt., VI, 376,24ff. 175, 7f. Vgl. I. Abt., V, 159,4f.