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Korrespondenz

Von Jean Paul an Wilhelmine von Kropff. Hof, 24. April 1796.

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[ Hof, 24. Apri. 1796. Sonntag]
181,21

In Ihrem Brief ist der blaue Himmel, der jezt ausser uns so un
erwartet den Frühling anfängt. Ich wurde durch die erhabne Offen
heit Ihrer Seele zugleich stolz und gerührt. Unsre Freundschaft ist älter
als unsre Bekantschaft und so alt als unsre Aehnlichkeit. — Ein solchse181,25
Feuer wird durch fremde Dinte oder fremden Athem nicht gelöscht.
Und eine solche Gesinnung sol auch nichts ändern — den Gegenstand
am wenigsten — als den Grad. Ach wenn Sie aus seinem [Ahlefelds]
Herzen, das zwischen dem doppelten Druk der Phantasie und der
Wirklichkeit liegt, das schöne Bild, das es noch [an] einander hält,181,30
ausziehen, so mus es zusammenbrechen — das dornige Leben hat dan
nichts mehr für ihn als Wunden und er müste an diesen sterben. Eine
solche Neigung ist solang gut als die eine Person keine Erwiederung
verlangt und die andre keine gewährt: diese ist im Fal der Sonne, die182,1
auch eben nichts dafür kan, wenn sie angebetet wird anstat bewundert
zu werden. Blos gemildert mus sein Enthusiasmus zu einem Grade
werden, daß er nur Freuden und keine Schmerzen mehr giebt. Sie
müssen aus einer Sonne ein Mond werden: jene zieht seinen Blumen182,5
die Farbe aus, sein Herz schliesset sich, wenn eine Wolke darüber zieht.
Aber die Abwesenheit des Mondes ertragen wir ruhiger und wenn er
endlich kömt, bringt er uns ein stilles Licht ohne Gluth, schöne Phan
tasien und Erinnerungen mit. Und diese glükliche Milderung seiner
Neigung mus er aus Ihrer Hand empfangen, wenn sie ihm das Ge182,10
schenk Ihrer Briefe anders giebt: Z. B. Das bisherige sehnende War
ten von Posttag zu Posttag entzündete seine Phantasie und verdoppelte
seine Qual und seine Neigung. Wenn Sie aber die feste Bedingung
machten, daß Sie ihm alzeit nach 4, oder 6 etc. Wochen gewisschrieben:
so fiele jenes hinweg. Sie könten die Zwischenräume der Briefe al182,15
mählig ausdehnen. Auch werden diese seine Liebe mildern, wenn Sie
ihn darin nicht bestreiten — wenn Sie ihm blos frohe Begeben
heiten mittheilen — wenn Sie von keinen Leiden darin sprechen. Und
mög’ Ihnen das Schiksal den Stof selber dazu nehmen! — Können Sie
keine lange litterarische Arbeit von ihm fodern, die seinem Kopf einen182,20
Spielraum gäbe, die aber freilich nicht zu nahe an die wunden Stellen
seines Herzens gränzen müste? — Käm’ er freilich wieder nach Bay-
reuth: so wäre fast kein Gegen-Mittel — ausgenommen zwei kleine,
die aber unser Geschlecht leichter gebrauchen kan als das Ihrige, erst
lich keine Minute ernsthaft, und zweitens immer ohne Zeugen zu sein.182,25
Man liebt eine Person stärker, wenn der Zwang der Visitten-Nachbar
schaft die Zunge bindet, daher junge Ehemänner ihre Flitterwochen
bräute wieder stärker lieben, wenn sie mit ihnen an fremden Orten und
vor Zeugen sind.


Kurz Ihre Briefe sind seine Rezepte. Einer von mir an ihn mus seine182,30
Heilungskraft erst aus — Ihrer Hand erlangen. Wenn ich die
Wonnemonats-Freude, Sie gesprochen zu haben, werde genossen
haben: dan kan ich besser als jezt — da er nicht einmal meine Bekant
schaft mit seiner Lage voraussezt — ihm den einzigen Grund, der ihn
bezwingt, ausmalen: daß er unglüklich mache, indem ers ist, und daß er182,35
dem unschuldigen Herzen, das er verehret, alles raube, was er seinem
nimt. —


Vergeben Sie meinem Briefe die Spuren seiner Eiligkeit: ich wolte183,1
den seinigen nicht lange behalten. Meine Offenherzigkeit werden Sie
nicht vergeben, sondern billigen: es war der einzige Weg, der Ihrigen
würdig zu sein.


Ich bitte Sie sehr, mir recht viel Zeit zu rauben, da Sie mir etwas183,5
geben, was man oft durch die Zeit verliert, — Freude und das süsse An
schauen einer schönen Seele. Sie erscheine oft ihrem



verehrenden Freunde
J. P. F. Richter.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Wilhelmine von Kropff. Hof, 24. April 1796. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_297


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958. Briefnr.: 298. Seite(n): 181-183 (Brieftext) und 452 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Williams College. 4 S. 8° (nur von 182,11 anders an). K: Kropf 24 Ap. 96. i: Wahrheit 5,98×. J: Carter S. 8. A: IV. Abt., II, Nr. 87. 182,11 ihrer K 15f. almählig] nachtr. H 22 müste] dürfte K

Minette erhielt den Brief am 26. April. Sie hatte Jean Paul einen Brief Ahlefeldts an sie geschickt und ihn in einem (nicht erhaltenen) eignen Begleitbrief gebeten, ihr zu helfen, Ahlefeldt von seiner aussichtslosen Liebe zu ihr abzubringen.