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Korrespondenz

Von Jean Paul an Wilhelmine von Kropff. Hof, 18. Mai 96.

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Hof. d. 18 Mai 96.
195,15

Ich bin kaum hier erwärmt nicht so wohl als erkaltet, so red’ ich
mit niemand als mit der theuern Freundin, die ich verlassen habe. Ich
kam oder lief um 3 Uhr abends hier an. Der schöne Eden-Himmel
über mir solte mich vielleicht für den schönern entschädigen, aus dem
ich herunter fiel; aber er erinnerte mich blos an ihn. Ich war oft in195,20
Bayreuth und allemal fröhlich da; aber am fröhlichsten war ich das
leztemal. Meine Trennung von Ihnen wäre so bitter für mich
gewesen wie mein Bitterklee, ohne doch eben so heilsam zu sein; aber
der Tropfen Lindenhonig oder Rosenöl, der hineinkam, machte die
lezte Minute zur schönsten. So beschliesset das Konfekt-Dessert die195,25
Reihe der Speisen; und so giebt uns das Jahr, wenn es uns alle
Süssigkeiten und Beeren gereicht, noch am Ende den berauschenden
Wein. — Ich habe mir den himlischen Weg noch schöner und rührender
durch die Ausmalung der herzergreifenden Szene gemacht, da ich noch
einmal das vom Kummer der Reue verzogene Angesicht Ihres195,30
Heinrichs unter meine innern Bilder stelte und da ich noch einmal die
so unaussprechlich zärtliche und doch eben so feste und herschende
Mutter auf das Haupt des gebeugten Lieblings mit ihren Küssen
sinken sah. Ach wie schön ist eine Mutter, und eine solche! Ich weis,
Sie ziehen ihn jezt, wenn Sie ihn erreichen können, an Ihr sanftes196,1
Herz, und ich möchte ihn jezt auch an meines schliessen.


Ich fürchte, ich habe Fr. Schukman nachgeahmt und habe ihr nicht
menschenfreundlich genug widersprochen und ihr die Achtung für
ihren Verstand, die sie troz allem eiteln Misbrauch desselben ver196,5
dient, hinter zu vielen Schleiern gezeigt. Solte sie deswegen aus
einer ziemlich gerechten Rache in Zirkeln meine Gegenspielerin und
Opposizionsparthei machen: so würd’ ich in diesem Falle zu Ihnen
fliehen als zu meiner Schuzheiligen, zu meiner Protektorin und Sie
um nichts bitten als um 3 Worte, die gütig, obwol nicht gerecht gegen196,10
mich wären und an denen fremde Pfeile abpralten. —


Eh ich nach Weimar gehe, schreib’ ich noch einmal: übrigens würd’
ich Ihre Briefe, da man sie mir nachschikt, auch von Weimar aus
beantworten. Jezt ist mir jede Zeile theuerer, denn ich sehe die schöne
Hand vor mir, und das schöne Auge, das sich dabei beschäftigte, und196,15
ich mag keine halbe entbehren. Unsere 3 Seelen-Abende werden noch
oft meine Brust mit Sehnsucht ausdehnen — ich werde immer fort
Ihre sanfte, rührende, holde Gestalt von [!] mir schweben sehen — ich
werde mit einem Seufzer daran denken, wie viel Sie verdienen, wie
viel Sie verschmerzen und wie wenig Ihnen das Leben giebt — Mögen196,20
Sie mir meine Fehler verzeihen, die beinahe die einzigen Erwiederungen
Ihrer schönen Gaben waren! — Möge jede Regenwolke Ihres Lebens
sich in einen Regenbogen verwandeln! — Möge meine verehrte
Freundin immer so glüklich sein wie die, die sie umgeben! Und darunter
gehört, obwol nur 3 Tage,196,25


Ihr wärmster Freund
Richter.

d. 19 Mai.


2tes Postskript (das 1te kömt hinterher) eben hab’ ich Ihren lezten
Brief und Ihre 2 Bayreuther Billetgen wieder durchgelesen d. h. 196,30
durchgenossen und habe nun ausser der Freude darüber, nichts als die
Angst, daß ich die Annäherung der Sonne, die ich als Autor erobere,
als Mensch verwirke. O theuerste Freundin, jezt behaupten Sie diesen
Namen fort, oder es wäre besser gewesen, daß Sie ihn nie angenommen
hätten. Es ist eben so schwer Sie zu entbehren als Sie zu finden. 196,35

1.) N. S. Alle Grüsse womit Dankbarkeit und Hochschäzung sich
ausdrücken können, giebt hier mein Herz Ihrem theuern Gemahl

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Wilhelmine von Kropff. Hof, 18. Mai 96. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_316


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958. Briefnr.: 317. Seite(n): 195-196 (Brieftext) und 456 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Williams College. 8 S. 8°. K (nach Nr. 308): Minette 18 Mai 96. J: Carter Nr. 4. A: IV. Abt., II, Nr. 94. 195,16 wol K 31 unter] aus vor H 34 sinken sah] so K, sinken/ken H 196,11 wären] aus sind H 29–37 das zweite Postskript steht am untern Rande der 2., 3. und 4. Seite, das (früher geschriebene) erste am linken Rand der letzten Seite H 30 Billetgen] danach getgen[?] H

195,23 Bitterklee: vgl. I. Abt., VII, 140,13 und VIII, 302,20. 196, 3 Schuckmann: vgl. Nr. 450†. In A heißt es: „Frl. Schuckmann habe ich seit jenem Abend in Ihrer Gesellschaft nicht wieder gesehn ... ich bin fest überzeugt, daß die Sch. Ihre Gönnerin ist, wenigstens äußerte sie mir im Herausgehn ihren Beifall über Sie.“ Ahlefeldt schreibt am 27. Mai an Minette: „Aus J. P.s Brief schließ ich seinen Krieg mit der F. v. Schuckmann; wenn er ihr eins auf ihre spitze Zunge gegeben hat, so habe ich im Geist mitgeholfen ...“