Von Jean Paul an Charlotte von Kalb. Weimar, 18. Juni 1796.
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[Kopie, z. T. Konzept]
[Gestern verbot mir die Eile die kleine Antwort auf Ihr Billet
vol
glänzenden Morgenthau. Ein Buch hab’ ich jezt nicht für
Sie, aber
mitbringen wil ich mehrere Briefe. Gestern schwankte
ich träumend
mit Oertel und Düvau im Park umher;
—] die Nacht zieht die
209,10
Alleen höher und riesenhafter empor und lag wie eine
zusammen
gerolte Ewigkeitsschlange in
der Kluft. Die Sehnsucht regte sich wie
ein
lebend[iges] Kind
[immer stärker] in meiner Brust
[und ich hieng
liebkosend und weich an
der Seele, die ich liebe. Sie wandelte un
sichtbar an meinem Arme —] Ich höre ihre Gedanken und ihr
lautes209,15
Herz. Wenn es schön ist im drückenden Zimmer
[gleichsam] jede
Empfindung aus dem fremden Auge zu trinken und dan gefült an das
Angesicht zu sinken, das in der Liebe glänzt: so ist es viel
schöner,
mitten im donnernden Zauberkreise der
[algewaltigen] Natur zwischen
Bergen und Strömen und Sternen ans geliebte Herz zu fallen
und209,20
leise zu sagen: [du bist
die Natur,] du bist das Universum um mich
und ich gebe deinem nahen Herzen alles, was der
[grosse] Geist um
uns in meinem erschaft.
Er [Goethe] ist ein Vulkan, aussen
überschneit, innen vol ge-
schmolzner Materie.
[Schreiben Sie mir bald.]
209,25
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Charlotte von Kalb. Weimar, 18. Juni 1796. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_338
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
K: Ostheim im Jun. i 1: Wahrheit 5,128× (16. Juni 1796, mit Nr. 345 vereinigt). i 2 (nicht nach K): Denkw. 2,14 (im Junius 1796). B: IV. Abt. II, Nr. 101. A: IV. Abt., II, Nr. 103. 209,9 mehre i 2 10 Düval i 2 zieht die Alleen höher und] zog die Bäume i 2 12 den Klüften i 2 15 ich hörte i 2 ihre] so i 2, Ihre K 16 im drückenden] in dem engen i 2 17 dan gefült] fehlt i 2 18 Angesicht] Antlitz i 2 das] was i 2 viel] fehlt i 2 19 mitten] fehlt i 2 donnernden] fehlt i 2 22f. um uns] fehlt i 2 24 Er bis 25 Materie.] fehlt i 2
Das „Billet voll Morgenthau“ ist jedenfalls Charlottens Brief vom 17. Juni, der frühmorgens geschrieben wurde. Am gleichen Tage fuhr sie nach Jena (s. 211, 11) und erhielt dort am 18. Juni Richters Brief (vgl. IV. Abt. (Br. an J. P.), II, Nr. 108). Nach A scheint er sie darin „Beste, Gewaltige“ angeredet zu haben. 209, 10 Oertel: der Bruder des Leipzigers, vgl. 213, 21 und Nr. 355†; nach 216, 17 war Richter Freitag (17.) abends bei ihm. Düvau: s. Nr. 347†. 24 Bei Goethe war Jean Paul am 17. Juni mittags; vgl. 212, 9. In A schreibt Charlotte: „Goethe hab’ ich immer wahr gefunden in seinen Äußerungen. Die Zukunft wird’s Ihnen zeigen. Sie sind ein Wesen, das ihn interessieren muß.“