Von Jean Paul an Caroline Liebmann und Johann Christian Conrad Moritz. Hof, 1. Dezember 94.
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Ob ich gleich heute in allen meinen Nerven kränkle: so zucken sie doch
bei Ihrem Briefe wie bei einem glühenden Eisen wieder auf. Er
giebt37,5
Ihnen alles wieder — die Wärme ausgenommen —, was
Ihnen meine
Misdeutungen abgesprochen haben. Das feine Gefühl
der zurükgezog
nen Weiblichkeit, das mich
bisher an Ihre Seele kettete und was hier
nur eine noch in dem Grade hat (die Ottoin), das sich
aber oft von der
Kälte ernährt, vereinigt sich in Ihrem Bilde noch mit dem
schönsten37,10
Zuge, mit der Freimüthigkeit. O Sie sind
grausam, da Sie gerade in
dem Augenblicke mir Ihr ganzes
schönes Herz enthüllen, da Sie es auf
immer verschliessen. —
Aber was ich jezt schreibe, kan nur Ihre Gründe,
nicht Ihre
Gesinnungen bestreiten wollen. Denn sind diese einmal so wie
Sie glauben oder behaupten: so kan
ich nur schweigen und ich wolte37,15
lieber meine Gefühle und
das, worin sie schlagen, zerknirschen als Mit
leiden erregen wollen, welches Wort Sie in Ihren Brief nicht
hätten
aufnehmen sollen. Ihr einziger Grund, der Ihnen Ihre
Verwandlung
in eine Freundin gebietet, ist das Wort: „ich
sehe schon es wird mir bei
Ihnen gehen wie es etc.“ Bei Gott!
welchen andern Sin, den Ihr Ge-
37,20
fühl nicht detaillieren wil — und
doch sol meines hart genug gewesen
sein, ihn gebraucht zu
haben? — konte jener Ausdruk haben als den:
„ich werde mir am
Ideale das ich mir von Ihnen gemacht, eben so gut
„einen
schönen Zug nach dem andern auslöschen wie ichs bei ** thun
„muste.“ Kont’ ich denn im höchsten Zorn etwas sagen, das in
dem Sinne,37,25
den Sie mich errathen lassen, drei Personen
auf einmal, und mich am
meisten heruntersezte? Wenn ich den
Schleier, der mein Verhältnis
mit * zu meinem Nachtheil ewig
bedekt, wegziehen dürfte: so würden
Sie noch eine andere
Ursache sehen, warum jener rohe Sin unmöglich
der meinige sein
konte. Und sind Ihre Launen, die Sie zur Wirkung
37,30
jenes Wortes machen wollen, nicht der Anlas desselben gewesen? Das
Meiste
womit Sie mein Inneres drükten, war lange vor jenem Worte
dagewesen. Ich gesteh’ es, weder Ihr meistens kalter Absagebrief noch
eine solche Wirkung eines Wortes, das Sie durch lauter Qualen
ab
gepresset haben, sind mir erklärlich.
O das heilige Feuer der Liebe, das37,35
an allen Fibern des
Herzens glimmend frisset, dieses löschet von dem
Tropfen eines
Wortes nicht aus, nichts erdrükt es als moralische grosse
Fehler! Wo es also so leicht untergeht: da ist es der kurze fliegende38,1
Funke Eines Tages gewesen und mehr nicht, der zu seiner
Verlöschung
nichts brauchte als blos — Zeit.
Theuerste Freundin! nehmen Sie alles was ich sage, eher sanfter als
strenge: ich ehre Sie jezt unaussprechlich, ich habe jezt kein
anderes38,5
Recht als das, Ihren Tagen alle Wolken zu
nehmen, aber nicht zu geben.
Und glauben Sie mir, ich habe immer
mehr gehoft als gewust; o wenn
ich Ihre Worte: „ich fühlte zwar
einst Liebe für Sie“ je klar in Ihrer
Seele gelesen hätte: so
hätt’ ich Ihnen alles vergeben, alles alles wie
jezt. — Was Sie
fodern, das giebt Ihnen mein ganzes Herz rein, heilig,38,10
vol und heis, eine Freundschaft ohne Launen, ohne Trennung, ohne
Vorwürfe. Aber lostrennen werd’ ich mich durch eine stufenweise
Ab
sonderung von Ihrem Hause (wo mich
ohnehin eines ums andere be-
leidigt), wie am Ende von Hof. Diese
blutige Losreissung befehl’ ich
mir, nicht um kalt zu werden sondern um warm zu bleiben. Sie
wissen38,15
nicht, in welchem Grade ich Herr über alle
meine kochenden Gefühle
werde, wenn es sein mus; um mich abzukühlen, komm ich täglich, spreche
täglich gleichgültige Dinge, stelle mich gleichgültig und eh’ ichs weis,
bin ichs. Aber unsere Liebe sol sich nicht so mörderisch
endigen: ich wil
das milde Bild einer kurzen vorübergeflognen
Liebe heilig in meiner38,20
Brust befestigen und nicht blos
Ihr Freund sein, sondern Ihr treuester,
heissester Freund. Und
so ziehe denn hin, beste [Karoline], und
verlasse
den, den du nicht gekant hast — der Frühling, auf
den ich mich so freuete,
blühet wieder auf, aber unsere Liebe
bleibt entblättert liegen und alle
schönen Abende
dar[in] — du findest das Herz nicht
mehr, das meinem38,25
gleicht — ich wil ein Engel sein, wenn
meine Geliebte es ist — O es
wird dir wehe thun, es wird dein
Auge und dein Herz auseinander
drücken,
wenn du einmal zu Ostern in meinem Buche meine Seele
wiederfinden wirst, die du so kalt von deinem Herzen wegdrükst
— Hier
steh ich an der Gränze zwischen Freundschaft und Liebe
und habe mir38,30
nichts vorzuwerfen und habe rechtschaffen
gehandelt und reiche noch
einmal meiner
[Karoline] die alte Hand, die sie nicht
mehr drücken wil
und sage: lebe wol, sei unaussprechlich
glüklich, aber du hast mich nicht
gekant. Dein
Richter
N. S. Ich werde wahrscheinlich heute kommen, weil es mir nach39,1
einem solchen Briefe zu wehe thäte, Sie zum erstenmale in Beisein
eines abwesenden Paars zu sehen, das sich auf eine sehr
undelikate
Weise in unser Verhältnis mengte und dem ich meine meisten
Mis
deutungen und Ihre meisten Anlässe
dazu schuldzugeben habe. Ich gehe39,5
sogar heute wieder
hinauf zu Ihnen, weils doch schwerlich mehr ge
schehen wird — Ist Ihnen aber meine Erscheinung in der
Lernstube un
bequem: so sol mir ein
zusammengelegtes leeres oder volles Papier,
das ich unter dem
ersten Buche auf dem Tische in der Dämmerungs
oder Durchgangsstube um 9 Uhr finde, das Zeichen sein, daß
ich nicht39,10
kommen sol. Ich bin müde, müde und
ausgeschöpft
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Caroline Liebmann und Johann Christian Conrad Moritz. Hof, 1. Dezember 94. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_44
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Berlin JP. 7½ S. 4°. Wie in Nr. 39 ist der Name 38, 22 u. 32 herausgeschnitten. J: Wahrheit 5,65×. 37, 20f. Ihr Gefühl ... wil] aus Sie ... wollen 23 am] aus vom 33 meistens] nachtr. 38,2 gewesen] nachtr. 13f. die Parenthese nachtr. 14 blutige] nachtr. 21 befestigen] nachtr. 23 gekanst 29 deinem Herzen] aus diesem 39,9 dem ersten] gestr.; die Korrektur, die wahrscheinlich darüber stand, ist mit dem auf der andern Seite stehenden Namen herausgeschnitten.
37,9 Friederike Otto. 20 Wahrscheinlich ist zu ergänzen: wie es mir bei Amöne ging; vgl. zu Nr. 14. 38, 28 Hesperus. 39, 3 Vielleicht das Ehepaar Franck; vgl. das folgende Billett und Nr. 7†.