Edition
Korpus
Korrespondenz

Von Jean Paul an Amöne Herold. Hof, 27. Dezember 1794.

Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



Hof d. 27 Dec. 1794 .
Beste Freundin,

Es kostet mich alle Anspannung des kühlern Nachdenkens, daß ich mich zu einem warnenden Worte zwinge, eh’ ich meine Empfindungen mit Ihren zusammenfliessen lasse. Und dieses Wort, das ich bald abkürzen werde, ist: daß Sie doch nicht den Schmerz für etwas halten, dessen Ernährung so verdienstlich ist wie seine Erstickung — daß Sie doch nicht mit Ihrem ofnen Herzen sich so heftig in seine Stacheln werfen, weil Sie wenn Ihre innere Zerrinnung jährlich so wächset wie seit 2 Jahren, ja am Ende eine ganz wehrlose zerflossene Seele für die grossen tiefen Schläge des Schiksals mitbringen würden, die jeder von uns am Todtenbette seiner Verwandten und Freunde gewis erwarten mus. Die verstekte Süssigkeit solcher poetischer Qualen besticht uns, sie zu suchen stat sie zu stillen. Aber was wäre denn am Ende eine so ganz wunde weiche zergangne Seele vor den Ungewittern, durch die jeder von uns mus? — Glauben Sie mir, weder im Schmerze noch im Jubel ist der Mensch am besten, sondern in der Ruhe, im heitern Genusse seines Bewustseins und seiner Lage. Der Schmerz giebt Tugenden, aber auch Mängel — himlische Tugenden gegen Aehnliche, harte Mängel gegen Unähnliche und Kälte gegen die Pflichten des Lebens, sobald sie von blosser Vernunft, nicht vom Enthusiasmus geboten werden.

— Ich habe überhaupt über die zunehmende Wundheit Ihres Innern, die alle glükliche Fügungen des Schiksals nie ausheilen werden, und die die äussern Lagen sonst vermehrten, aber (jezt am wenigsten) nicht erzeugten, lange nachgedacht, um Arzeneien zusammenzusezen, für die ich einmal ein längeres Blat bestimmen werde, wenn Sie es wollen und ich es wage. —

— Aus diesem Raisonnement werden Sie nicht auf die tiefste Rührung schliessen können, mit der meine zerrissene Seele alle edle Thränen der Ihrigen in sich strömen lies. Sie spalten gewaltsam das fremde Herz und giessen Ihr edles Blut hinein. So schön sah ich sonst nie Ihre weiche Seele und alles, was die Schläge des Schiksals an ihr geöfnet haben. Nichts thut mir wehe, als daß Ihr Blat nur von 4, stat von 6 Augen gesehen wird. Aber wenn Sie mir auch die Bitte um eine weitere Mittheilung verweigern: so kan ich doch noch in einem andern Namen als meinem die Antwort auf die lezten Wünsche Ihres Blattes geben: das Schiksal hat sie alle erfüllet und es wird ewig bleiben, weil alle auf der Tugend ruhende Freundschaft — und nur diese — ewig ist. Zerstöre dich nicht, beste Amöne, durch deine eignen Thränen, die wie ich gewis weis, gestern dein ganzes Inneres, alle deine Nerven und Ideen in einen einzigen, siedend um das Herz schwimmenden Strom aufgelöset haben. Wenn ich mich wieder ändern wil: so schicke mir dieses Blat, und ich werde dich wieder kennen und alles vergeben. Ach warum braucht es so wenig, um den andern zu quälen, und so viel, um ihn zu beglücken? —

Immer und ewig und wieder von neuem


Ihr alter Freund Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Amöne Herold. Hof, 27. Dezember 1794. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_47


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958. Briefnr.: 47. Seite(n): 41-42 (Brieftext) und 403 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Kunst- u. Altertümersammlung der Veste Coburg. 4 S. kl. 4°. K (nachtr. nach Nr. 52): Amöne 27 Dec. 1794. J 1: Morgenblatt, 30. Juni 1829, Nr. 155 (1793). J 2: Otto 4,214 (1793). 41,26 so heftig] nachtr. H 42,3 von] aus aus H nicht vom] aus ohne H 7 sonst] nachtr. H 13 spalten] aus öfnen H 24 schwimmenden] aus schimmernden H

Vgl. Nr. 53.