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Korrespondenz

Von Jean Paul an Charlotte von Kalb. Hof, Ende 1796 — 29. Januar 1797.

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[Kopie, z. T. Konzept]

[ Hof, Ende 1796 — 29. Jan. 1797 ]
292,6

[Unvergesliche! So sonderbar sind wir alle! Obgleich dieses Blat
erst weit im neuen Jahre in Ihre Hände gelangt: so ist mir doch in
dieser Minute — blos weil ichs denke und schreibe —] als ständ’ ich
hinter der Gruft des fallenden Jahrs und vor der Wiege des lächelnden292,10
[neuen] neben Ihnen und nähme Ihre Hand und sagte: noch kein
Jahr gab mir eine Seele wie Ihre, [noch keines eine so geflügelte und
so gute und so aufrichtige. O sei du so glüklich im künftigen, wie ich im
vorigen war — und bleibe bei mir. —


Was haben Sie mir alles vertraut!] — Ihr Vermählen mit Ihrem292,15
Gemahl, das engere Umarmen d[es] nächsten Geliebten. Ein Zeichen
des engsten Herzensbundes ist die Enthüllung der häuslichen und
bürgerlichen Verhältnisse, die der egoistische Weltton verbeut —
litterarische Phasen und Kulminazionen. — Wenn ich mit den hölzernen
Hebeln der Klaviertasten die Frühlingswelt wieder vor meine Seele292,20
hebe — diese papiernen Kinder und Enkel dithyrambischer Stunden —
Wenn der Frühling seinen blauen Himmel und seine Nektarien um uns
öfnet.


[Hätten Sie nur eine Nebensonne, so müste mir diese ihre Stralen
geben. — Zürnen Sie nicht meinem langen Schweigen — ich bin der292,25
Krüdner zwei Antworten schuldig. — Sagen Sie mir von allen etwas,
die ich bei Ihnen in Weimar sah. —

Göthe sol in Leipzig von mir so mild und unpartheiisch gesprochen
haben, wie es nur Charlotte thäte.


Vieles, was ich erfahren, ist nicht werth geschrieben zu werden, doch292,30
ich sage es ohne Wahl der Sache, noch der Einkleidung. —


Die Hofnung auf Ihre Briefe verzögert die meinigen. — Wenn ich
einmal bei Ihnen bin, tausendfach verkantes Herz, werde ich nicht
begreifen, warum ich Ihnen so selten schrieb — aber in meinen
flüchtigen Briefen find’ ich weder den Ausdruk, noch den Genus der292,35
Liebe für Sie, aber in den Ihrigen finde ich beides. — Ach Sie wissen
nicht, wie sehr der angeschmiedete Prometheus sich sehnt nach der 293,1
unersezlichen Charlotte. — O wären Sie doch zweimal in der Welt!


Unendlich warm wie die Sonne hat Ihr Frühlingsstük in meine
Brust geschienen, ich brauchte Bogen darüber zu reden und habe nur
Minuten. — Addio, cara, cara! ] 293,5

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Charlotte von Kalb. Hof, Ende 1796 — 29. Januar 1797. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_515


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958. Briefnr.: 516. Seite(n): 292-293 (Brieftext) und 494 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

K (nach Nr. 509): Ostheim. ab den 29 Jenn. i (nicht nach K): Denkw. 2,39 (27. Jan. 1797). B: IV. Abt., II, Nr. 161? Der erste Absatz von i gehört zu Nr. 407 (244, 30–35). Der dritte Absatz (292, 24–27) steht bei Förster in Nr. 381 (Denkw. 2,28), wohin die Bemerkung über die Krüdener nicht paßt (vgl. 294, 4–6); es folgt dort noch der Schluß des zweiten Absatzes in folgender Fassung: Wenn ich die Frühlingswelt in Weimar am Klavier wieder vor meiner Seele habe [!] und wenn die Melodien jener Stunden sie neu erschaffen, dann rede ich mit Dir — ach! was sind dagegen die jetzigen Zeilen! Die zwei folgenden Absätze (292, 28–31) stehen bei Förster in Nr. 396 (Denkw. 2,30), was wenigstens für den ersten nicht stimmen kann (vgl. 283, 29†); es folgt auch hier wieder die gleiche Stelle in folgender Variante: Ach Unvergeßliche, wenn ich am Klavier die Frühlingswelt vor meiner Seele habe und wenn die Melodien Deine Worte und meine Stunden bei Dir neu erschaffen, und wenn die übervolle Erinnerung nichts mehr hat als Thränen, dann schreib’ ich allezeit an Dich — dann red’ ich mit Dir. Der vorletzte Absatz gehört möglicherweise in Nr. 539. 292,10 vor] an i 11f. noch kein Jahr gab mir] Noch nie gab mir ein Jahr i 12 Ihre] Deine i 15 Ihr bis 16 Geliebten.] fehlt, dafür drei Punkte als Auslassungszeichen i 19 litterarische Phasen und Kulminazionen] fehlt i Wenn] Ich sehe Dich, wenn i 21 diese bis 22 Wenn] und die dithyrambischen Stunden kehren mir wieder, wenn i dythramb. K

292,28 f. Goethe in Leipzig: vgl. 283,29 .