Von Jean Paul an Charlotte von Kalb. Hof, 21. Februar 1797.
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[Kopie, z. T. Konzept]
[Ihr lezter vom 5 Febr. that auf mich die Wirkung eines
paradiesi
schen Vorfrühlingstages, wie
wir jezt haben; er machte mich bis in den
Nerven meines Herzens
wehmüthig] — Und dan solte man den Brief
weglegen und die Hand ergreifen können, die ihn geschrieben hat. Eine
zarte Aetherflamme, die hel auflodert, aber nicht knistert,
sondern nur301,10
den feinsten Stof verzehrt, schimmert durch
ihn. [Jezt beantworte ich
die
Hauptpunkte:
Reichards Armuth an Delikatesse und Reichthum an Selbstliebe hat
mich nicht halb so erzürnt als Sie es wurden; aus gar zu
grosser Vor
liebe für den armen Paul vergaben Sie jenem zu wenig.] —
Mein301,15
kahler Kopf hängt nun wie ein Bierzeichen auf
die Gassen des Publi
kums heraus und ich
mus es erwarten, ob ihn die Vorübergänger mit
Pfeilen oder
Lorbeeren bedecken. Ein Autor mus 100 etc. mal weniger
nach
Tadel fragen als ein Weib. Mich kan Tadel höchstens bessern,
nicht stürzen — also komm’ er! — Mein Leben und meine Freuden301,20
versiegen bald unter dem Grabstein und die Puppenhaut springt
bald
von der innern Psyche ab, aber der Same, den meine
Schreibfinger
auswerfen, überdauert meine Hülse aus Erde
[und darum ist es meine
Pflicht und
Freude, alles, alles meinem Schreiben aufzuopfern.
Das Schiksal hat einen Trauerflor über Ihr Auge gezogen, darum301,25
sehen Sie Weimar schwarz. Wie, hätte man sich so verändert?
un-
möglich. — Einer aber verändert sich
leichter als viele, wie Sie.] —
Ein Hof
ist nur für den ein verschüttendes Bergwerk, der darin Gold
aufsucht. —
[Ich liebe die ungleichartigsten Seelen so sehr — wie Herder
und
301,30
Knebel, daß sie meinem Herzen das ihre nicht versagen
können.]
Das mänliche Herz ist geräumiger als das weibliche, in dem blos ein
Ehebette und eine Wiege aufzustellen ist und mehr nicht.
[Ihr Brief hat mir bittersüsse Thränen
gekostet.] — Dein grosses
Herz
verhungert und verwelkt in der öden Welt. Du glaubst, Männer301,35
liebe könt’ es füllen, aber deine weite
Seele sättigt und fült nur der Un302,1
endliche,
der hinter dem Tod glänzt, durch seine 2
te Welt.
[Aber wenn du eher als ich die erste verlassen hast, so wisse
gewis, daß
unter allen Menschen der Erde dein Freund am
längsten über die edle
Freundin weint; aber weine du lieber
über mich!]
302,5
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Charlotte von Kalb. Hof, 21. Februar 1797. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_539
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
K: Kalb. 21 Feb. i (nicht nach K): Denkw. 2,41. 301,7 Vorfrühlingtages i 8 Und] fehlt i 9 können] fehlt i 11 feinsten bis ihn] Priestern [!] schimmert, doch ihren Stoff verzehrt i 15 Paul i 16 Gassen] Gaffer i 18 Autor] Schriftsteller i 100 000 i 19 Tadel1] fremdem Urtheil i ein Weib] eine Frau i Tadel2] davor aller i 20 nicht] davor aber i 21 und] d. h. i 22 ab,] danach davon und von der Unsterblichkeit wird Sie mein Kampanerthal gewiß überzeugen, das ich con amore geschrieben. i (gehört jedenfalls nicht an diese Stelle, vielleicht an den Schluß des vorletzten Absatzes) aber] fehlt i 28 Ein Hof] Die Gesellschaft i 35 glaubtest i 302,1 könne i 2 durch] und i
301,13 Reichardt: vgl. Nr. 400† und zu Nr. 504; in Reichardts Bericht ist von Richters „kahler Glatze“ die Rede. 28 Im Brief an J. P. IV. Abt., II, Nr. 155 warnt Charlotte ihn, an einen Hof zu gehen.