Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 31. März bis 1. April 1797.
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Anlangend deine vorigen Blätter so hab ich dir ausser dem Danke,
und der Erinnerung an ihre Zurükkehr, blos das zu sagen: daß
sie Recht
haben. Ich meine, in der Bemerkung der Wirkung,
nicht des Grundes.
Ich habe dir schon einmal geschrieben, daß
ich mehr die Wahl als die314,30
Behandlung des Gegenstandes
zu vertheidigen hätte. Dein Urtheil be
weiset mich. Das Ganze ist ein flüchtiger Spas, ein Vehikel von Ein
fällen, keine Biographie. In das öde
katechetische Bilderkabinet ist
keine biographische Succession
zu bringen; ausser wenn man, wie du
räthst, die 10 Bilder
blos so unzusammenhängend gebraucht wie die315,1
Romanciers die chodowieckischen. Aber der Mensch
verabscheuet sogar
in Kleinigkeiten Wilkühr und hält auf den Saz des
zureichenden
Grundes: er erträgt keine Geschichte, die die
10 Dekalogus-Bilder nur
nach Belieben nach grössern oder
kleinern Zwischenräumen aufstelt und315,5
braucht. Ich hätte
eine längere und leichtere Geschichte erfinden können,
worin
die Holzschnitte nur nach meinem Belieben aufgetreten
wären:
aber das leidet der Mensch nicht, er wil nothwendige
Folge. Daher
durfte in dieser Bettelhistorie keine Szene
liegen, die nicht von den Holz
schnitten
angefangen oder vorbereitet oder volendet wurde. Auch hätten315,10
mir im andern Falle die grösten Kritiker Deutschlands die
Frage vor-
gelegt: woher ich die Sache hätte. Denn
nach Home’s Grundsäzen der
Kritik darf auf dem Weimarschen Blatte nichts gelehret werden
was
nicht auf den Katechismus-Blättern zu errathen ist. Der
Revisor konte
keine confessions in
Holz schnizen, die nicht, im Nothfal eine schrift-
315,15
liche entbehren konten.
Das ist also der Grund zu deiner wahren Bemerkung, nicht aber
deine Vermuthung des geniessenden Gefallens an der Arbeit. Ich
mache alles schlechter, oder schlecht, was ich nicht mit Liebe oder viel
mehr Hofnung mache. Meine persönliche Stimmung hat längst ihren315,20
Einflus auf mein Schreiben verloren. — Du sagtest, es sei
nicht Licht
in diesem italienischen Theater: das wäre ein
fataler Fehler, den ein
Autor selten erräth. —
Gegenwärtige Lieferung hättest du gleich mit der vorigen lesen
sollen, weil man sonst die Foderung stat an das Ganze, an die Glieder315,25
macht. Das lezte Kapitel mag noch hingehen. — Die Vorrede
be
kömst du Morgen. — Ich sehne mich
nach Arbeiten, worin mir meine
bisherigen Erfahrungen seit
einem Jahre, helfen können. — Ich werd’
es dem Buchhändler
ungemein schnel übermachen. — Gieb dir nicht
viele Mühe mit diesem Mockierspiele. Ich hätte auch deine
bisherige315,30
gar nicht gelitten, wenn meine Sachen
nicht der Anlas (nicht blos der
Gegenstand) zu deinen Gedanken
gewesen wären, die du immer rekla
mieren
kanst und die der Mensch leichter bei einer Gelegenheit als ohne
eine entwickelt. Daher bat ich immer den Wernlein, doch etwas
zu be-
haupten, was ich läugnete.315,35
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 31. März bis 1. April 1797. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_575
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Berlin JP. 4 S. 8°. K (nachtr. im Okt. nach Nr. 561) ohne Überschrift. J: Otto 2,49. B: IV. Abt., II, Nr. 180. 315,2 Aber] nachtr. H sogar] nachtr. H 3 hält auf] aus wil H 15 keine] aus seine H in] ins K 26 noch] nachtr. H 27 worin] aus wo H 28 bisherigen] nachtr. H 30 auch] nachtr. H 34 bat] aus schrieb H
Otto hatte in B gemeint, der der „Erklärung der Holzschnitte“ zugrunde liegende Einfall trage die Gefahr in sich, daß der Verfasser über seinem subjektiven Genuß die Schwierigkeiten der objektiven Darstellung außer acht lasse; die Geschichte würde mehr Einheit erhalten, wenn zwischen die Erklärung der einzelnen Blätter andere, vermittelnde (und nur beschriebene) Szenen eingeschoben würden. 314, 30f. Vgl. Nr. 548. 315, 12f. Home’s Grundsätze der Kritik: vgl. Bd. I, Nr. 351, 315,16†. 34f. Wernlein: vgl. 19, 26–28, 62, 22f.