Von Jean Paul an Charlotte von Kalb. Hof, 21. Oktober 1797.
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[Kopie, z. T. Konzept]
Hochstehende Seele. — [Nie, Freundin, hab’ ich Sie soviel
sprechen384,30
hören als seit 8 Tagen. Mad. de Stael ist Ihre Schwester Rednerin,
und in dem was ich las, glaubte ich den]
Wiederhal unsrer Junius
stunden
[zu hören. Noch kein Weib schrieb so über die Liebe, und
noch keins so über alles andere. Aber es ist leichter der
Bewunderer
als der Jünger zu sein, und ich bedauere und
bewundere dieses ener384,35
gische Herz.
— Diese Verbindung sind Sie besonders von mir gewohnt.
Gute Charlotte! den 1ten November bin ich in Leipzig
—] der
385,1
Lindenstadt, in der ich neben den Bienen einigen Lindenhonig
anzu
treffen denke;
[aber meine Freundschaft für Ihr Auge
und] die
Kraft, womit Sie die äussere
Welt in die innere ziehen, [wird nir
gends verändert.] Welche Zeiträume sind
zwischen unsre Hofnungen385,5
getreten!
[Fr. von Berlepsch kenne ich von Franzenbad und achte sie
hoch]
— Ich urtheile, damit Sie urtheilen. [Im
Winter sind Sie in Weimar
und aus Leipzig ist mehr ein Schrit als Flug dahin; wenn Sie
mich
sehen, werden Sie mehr über die Vergangenheit als Zukunft
fragen. —385,10
Durch die vielen Pausen ist meine Historie
sehr verlängert worden.
In der Michaelismesse erscheint nichts von mir. — Gleim, Nachtigal,
Matthison geben Erholungen unter dem Titel „Hebe“ heraus;
auch]
vor meiner Hausthür schlugen sie die Werbetrommel so lang bis
ich
mitgieng. [Leichte Arbeiten nehmen
die Kräfte, weil sie kleine385,15
brauchen.
—] Göthe lies [als er nach Italien
reiste] wie eine wandelnde
Sonne an den deutschen Wolken seine Aurora zurük.
[H. von Knebel
lies bei meinem Otto ein trefliches Bild
zurük.] Er war die erste Blume,
die auf dem leeren Meere schwimt, die mich an die glükliche
Insel
(Weimar) erinnert. Sie sind die Kalypso darauf, nur daß Sie
schönere
385,20
und höhere Verwandlungen vornehmen. —
[Nur meine Sehnsucht
nach einem so
lange zögernden Briefe drang mir diesen unter den
Zurüstungen
der Reise ab.]
Ihre Talente helfen andern mehr als Ihnen.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Charlotte von Kalb. Hof, 21. Oktober 1797. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_727
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
K: Kalb 21 Okt. i 1 (nicht nach K): Denkw. 2,47. i 2 (nicht nach K): Denkw. 2,49 (27. Okt. 1797). A: IV. Abt., III.1, Nr. 2. Die Ergänzungen der beiden ersten Absätze sind aus i 2, die andern aus i 1; der letzte Satz steht in K auf einer neuen Seite und ist möglicherweise nicht zugehörig. 384,31 Ihrer i 2 385,3 aber bis 6 getreten!] wie vieles ist zwischen meine Hoffnungen getreten! aber meine Freundschaft für Ihr Auge und die Kraft, womit Sie das Aeußere in Ihr Inneres ziehen, wird nirgends verändert. i 2 7 Franzensbad i 1 16 wie bis 17 Wolken] fehlt i 1 18 Er war die erste] seine Erscheinung hätte mich gleichsam wie eine i 1 20 Sie bis 21 vornehmen] nur daß dort schönere Verwandlungen hervorgehen als durch die Kalypso i 1
384,31 Staël: vgl. 380, 28†. 385, 5 verändert: vgl. A: „Jawohl hat sich vieles in uns geändert ...“ 7f. Vgl. A: „Frau von Berlepsch sah ich oft. Hat sie Ihnen gefallen, so haben Sie sehr wohl gethan, sich dieser angenehmen Empfindung zu überlassen; ich habe keine Empfindung für sie und auch keine gegen sie ...“ Vgl. I. Abt., IX, 354,28f. (Titan, 125. Zykel.) 12–15 Hebe: s. Nr. 694†. 16f. Goethe kam auf seiner geplanten Reise nach Italien nur bis in die Schweiz; mit der zurückgelassenen Aurora sind wohl seine Gedichte im Schillerschen Musenalmanach auf 1798 (Die Braut von Korinth, Der Gott und die Bajadere u. a. m) gemeint, vielleicht auch Hermann und Dorothea; vgl. A: „Vortrefflich ist Goethens Hermann und Dorothea; seine Gedichte las ich noch nicht, sie sollen sehr antichristianisch sein.“ 17f. Knebel war im Sommer 1797 in Bayreuth gewesen und dort Anfang August mit Christian Otto zusammengetroffen (Otto 2,79). 20 Kalypso: Verwechslung mit Circe; vgl. A: „Kalypso hat nicht verwandelt, sondern ist verwandelt worden.“