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Korrespondenz

Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Berlin, 9. April 1801 bis 10. April 1801.

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Berlin d. 9. Apr. 1801.

Geliebter Bruder! Ich schweige über dein Schweigen auf meinen Jenner-Brief, da ich leider in der wilden Zeit so viele Fäuste sehe, die dir keine Feder lassen. Mögest du nicht zu traurig sein und möge der Frühling dich an seiner blumigen Brust ausheilen!

Endlich bekam ich Reinholds 1ten Beitrag von Fichte selber, der mir gestand, R. stehe jezt höher als je. Die Heavtogonie und vorn die Geschichte find’ ich herlich und fast alles. Fichte, der gegen ihn schreiben wil, bleibt dabei, „das Denken als Denken“ sei seine „intellektuelle Anschauung.“ Ich bin über Bardili’s Epitomator froh. Aber aus dem reinen Denken weis ich nicht was damit oder daran für ein Urding herausgedacht werden sol; etwas noch höheres ist das verhülte Ding „die Überzeugung“Denn es ist die Frage, ob je ein Mensch von einem Irthum überzeugt gewesen; von den wahren Ingredienzien desselben war ers nur; man solte nur auf das leise Gewissen der Überzeugung recht hören. Es verdamt viel früher als jeder Syllogismus., die ja darüber oder darin richtet und die so wenig wie Hume sagt, blos eine blos lebhaftere Vorstellung ist, da ja an der Überzeugung die Lebhaftigkeit selber wechselt und wieder an der Vorstellung oft ist, die man nicht glaubt und da Glauben und Nichtglauben ja nicht im Grade verschieden sind. Auf den 2ten Beitrag harr’ ich deinetwegen wie auf den Frieden. — Fichte, mit dem ich sehr gut stehe obwohl unser ganzer Dialog ein Janein ist, sagte mir, er nehme über und ausser dem absoluten Ich, worin ich bisher seinen Gott fand, in seiner neuesten Darstellung noch etwas an, Gott. „Aber so philosophieren Sie sich zulezt aus der Philosophie heraus“ sagt ich zu ihm. Du hast ihn wahrscheinlich dahinauf gepeinigt. Aber dan zerbricht das Gebäude und das Deduzieren und Philosophieren höret bei dem auf, was er nicht geschaffen und nur ein Dualismus anderer Art trit ein. Ich sagt’ ihm, dan hab’ ihn Schelling, Reinhold und alle nicht recht dargestelt; und er lies es lieber zu, „seine Philosophie sei eben noch nicht fertig gewesen.“ Was sagst du? —

Der Mensch selber ist gut und tolerant; das siehst du aus seiner Amnestie für den Clavis Schmidt.

Ich lese jezt den Jakob Böhme. Da wo er nur philosophiert und nicht chemisch ist: da (z. B. in der Beschaulichkeit Gottes, in den 40 Fragen über die Seele) ist er tief und edel, sogar ein Prä-Fichtianer (stat Entgegengesezt sagt er blos „die Natur ist ein Gegenwurf der „Gottheit oder Freiheit“) Sein poetisches Liebkosen der ganzen Natur und sein heiliges Leben im Allerhöchsten reinigt und hebt mich selber. Dunkel ist er wenig.

Ich habe wieder einmal vor dir, als dein blosser adjunctus philosophiae philosophiert; aber der Mensch hat, z. B. vom schönen Wetter kommend, einen besondern Trieb, den andern davon zu benachrichtigen, ob dieser gleich dasselbe schon sehr gut selber durchs Fenster sieht.

d. 10. Apr.

Wahrscheinlich hat dich die Fluth des Kriegs, du Guter, wieder fortgetrieben. Gehst du wieder nach Düsseldorf: so bin ich dir näher in Meiningen, wohin ich in der Mitte des Maies mit meiner Lieben ziehe. Couvertiere den Brief an Herder; oder noch besser, an mich hier, indem du früher schreibst.

Poesie und Philosophie sind ein Paar Anhöhen, die hier mit allen andern fehlen. Ich bin in vielen geselligen Zirkeln hier selber ein Bogen mit; aber diese können mir die fränkischen Berge nicht ersezen, ohne die ich wie ein Raubvogel nirgends horsten kan.

Jezt, Geliebter, reisse mich bald aus den Wolken, worin ich dich sehe; mich bekümmert dein Sein. Bringe den treuen herlichen Schwe stern den treuesten Grus des Herzens. Wenn werd’ ich dich einmal an meinem haben? Lebe wohl, Heinrich!


Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Berlin, 9. April 1801 bis 10. April 1801. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_112


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 116. Seite(n): (Brieftext) und (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 5½ S. 8°. Präsentat: Jean Paul. e. d. 25ten Apr. 1801. b. 4ten May. K: Jacobi 11 [!]. J: Jacobi S. 84. A: IV. Abt., IV, Nr. 126. 62,30 oder daran] nachtr. H 31 sol] danach gestr. da es doch nur oder wie es von der H 32 darüber oder darin] nachtr. H 63,1 blos2] nachtr. H 3 oft ist] nachtr. H 7 worin bis 8 fand] nachtr. H 13 trit ein] entsteht K 14 und alle] aus u.s.w. H lieber] nachtr. H 15 gewesen] nachtr. H 20 Prä-] nachtr. H 23 und hebt] nachtr. H 28 ob dieser gleich] obgleich dieser K 35 hier] nachtr. H

62,25 ff. Das 1. Heft von Reinholds „Beiträgen“ (s. zu Nr. 80) enthält am Anfang eine Abhandlung „Die erste Aufgabe der Philosophie in ihren merkwürdigsten Auflösungen seit der Wiederherstellung der Wissenschaften“ und am Schluß „Ideen zu einer Heavtogonie oder natürliche Geschichte der reinen Ichheit, genannt reine Vernunft“. Reinhold stellt sich darin ganz auf den Boden von Bardilis Logik (s. Bd. III, zu Nr. 391). 32ff. Vgl. I. Abt., VII, 443,29ff. und II. Abt., I, 35,19†. 63, 18–24 Jakob Böhme: „Hochteure Pforte von göttlicher Beschaulichkeit“; „Vierzig Fragen von der Seelen-Urstand“. Jean Paul war durch Tieck auf Böhme hingewiesen worden. 26–29 Vgl. 24 , 22–25 .