Von Jean Paul an Paul Emile Thieriot. Meiningen, 21. September 1802.
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Mein lieber Paul! Ich fange gleich damit an, daß mir meine Frau
gestern um 11 Uhr Mittags ein herliches schön geformtes — mir
ganz
ähnliches — Töchterlein gab und ich noch nicht weis,
wo mir der181,25
Kopf steht, obwohl, wo das Herz. Alles geht
und fliegt gut. — Bei
dem Tode eines Menschen (wie Ihrer
Schwester) fühlt man was Liebe
und Unsterblichkeit heissen und daß wir etwas Höheres sind
〈meinen〉
als wir scheinen. — Ihre Pariser Briefe ergözen
mich; nur fassen
Sie nicht das Einzelne (z. B. Theater) sondern den Geist des
Ganzen
181,30
an und in sich. Grüssen Sie Schlegel und sagen Sie
ihm, ich würd’
ihm schreiben, wenn er mir dafür haftete, daß er antwortete.
— Jacobi
schrieb mir Lorbeerkränze über Titan III und nahm bei der Lesung
des I die Dornenkränze zurük. — In
Weimar fand ich die Alten für
mich, Herder etc. Weiter kam ich
nicht. Das schönste Jahr hab’ ich
181,35
so verpasset. — Da Sie doch nicht lange in Paris
bleiben: so machen
Sie sich ganz zu einem Pariser, treten Sie dieser glatten
Seite des182,1
Menschen Vieleks recht nahe und schleifen sich am
glatten Stein wie
nördlicher am rauhen. Auf der Erde hat alles
Werth. Egoismus und
Wollust sind die 2 gewöhnlichen Geschenke
der Grosstädte; aber Paris
giebt mit diesen vielleicht zugleich
den Ekel dazu. — Vor einigen Tagen182,5
schrieb ich an den
Herzog eine erhörte Bitschrift für den Spiz in dessen
Namen, weil er mit seiner ganzen Genossenschaft in
Stadtarrest
gethan war und nicht übers Thor hinaus mit mir
solte. Jezt läuft er
wieder. — Der 4te Titan ist nach Berlin, er ist ohne Makel und
darin
solt Ihr Italien finden. Der 5te
reisset die Menschen hin und macht
182,10
sie wüthend durch Historie. — Der Cottaische Almanach
hat sich von
mir einen Aufsaz erbettelt, worin ich in einem Schreiben an
den
Herausgeber meine Ursachen sage, warum ich ihm keinen für
seinen
Kalender liefern kan. — Auf Ihre Laufbahn bin ich
begierig, wiewohl
ich die pariser nicht für die rechte halte.
Leben Sie wohl! Bleiben Sie
182,15
mir und sich gut!
Spiz grüst. — Auch C. — Himmel! wenn Sie einmal mein
blau-
äugiges Töchterlein — mit meiner Frau
Näsgen, sonst alles von
mir — sehen werden! Weiter sag ich
nichts!182,20
theilungen danke) Paris. d. 2. E.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Paul Emile Thieriot. Meiningen, 21. September 1802. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_316
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Berlin Varnh. 213 (derzeit BJK). 3 S. 8°; Adr. auf der 4. S. K (nach Nr. 314): Thieriot 52 August. J: Denkw. 1,442×. B: IV. Abt., IV, Nr. 246 und 250. A: IV. Abt., IV, Anhang Nr. 12. 181,22 52 August] aus 21 Sept. H 182,1 ganz] nachtr. H 2 schleifen] davor gestr. saugen H 12 in einem Schreiben] nachtr. H
181,27 Thieriots Schwester Jeannette war am 17. Juli 1802 gestorben. 29 fassen: hier Imperativ. 31 Thieriot verkehrte in Paris mit Friedrich Schlegel. 182, 21 Bruder: Jacques, s. Bd. VI, Nr. 425, 169, 4.