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Korrespondenz

Von Jean Paul an Christian Otto. Meiningen, 3. November 1802.

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M[einingen] d. 3. Nov. 1802 [Mittwoch].

Schicke mir ja deine Briefe und meine Bücher jezt mit. — Über Liebman, Cloeter, Kommiss[ionsrath] Vogel und den Rest bist du mir Antworten schuldig. — Verdamter Weise fand ich eine ähnliche Einkleidung des Taschenbuchs in den Palingenesien, so vergess’ ich. — Die Adrastea ist freilich anders 〈seichter〉 gesagt als gedacht; das Besonderste verflösset H[erder] aus Politik ins Algemeine. Niemand giebt einem Faktum sonst einen solchen Stambaum wie er und solche Früchte. Seine ästhetischen Aufsäze (über Roman als Traum z. B.) sind sehr tief, troz des glatten Wasserspiegels. Über die Dialogen fluch ich am meisten. Freilich sol ich ihn [!] ihm loben. Mündlich hälts schwerer, weil Sie über alle Artikel nachfragt, worüber man nicht lobte.

Freitags fuhr ich nach Koburg, behielt die Pferde da, und gieng Montags zurük. Da nun die Gegend aus 4 oder 5 Eden zusammen [ge]bauet ist — die Stadt 100 Dinge hat, die hier fehlen — wenigstens einige Liebhaber der Philosophie und Kunst (z. B. Forberg) — da ich Sontags am Hofe dinierte und théeirte — die Herzogin (meine brünstigste Leserin) und noch eine ungesehene kranke Prinzessin so treflich fand und den Herzog so gut und die Grosfürstin so schön und alles so familienmässig und viele Weiber gebildet und den M[inister] Kretschman als einen herlichen philosophischen recht geachteten Kopf (sas neben ihm bei Tafel; seine Physiognomie hat indes etwas von Gentz seiner, insofern sie das Zifferblat des Herzens ist) und da ich abends bei ihm essen solte (aber nicht konte, weil mir so schlecht war, daß ich neben der Herzogin sizend und froh redend doch 5mal unge sehen ins Schnupftuch schwach spie) — und der Bücher wegen und weil Meiningen ein Dorf dagegen ist und ich Euch und dem Biere näher bin: so zieh’ ich im April entschieden nach Coburg. Gute Nacht!

Köpfe 〈und meiner hörte selber〉 hört’ ich über Kretschman reden; nur sie stelt er an; aus der Philosophie reisset er sie heraus in die Geschäfte (Forberg und mehr.) — kurz er achtet Kraft, weil er sie hat. Ich wolte, ich hätte nicht vomiert, sondern bei ihm soupiert.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Christian Otto. Meiningen, 3. November 1802. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_329


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 335. Seite(n): (Brieftext) und (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 3 S. 8°; der letzte Absatz und die Adr. Otto auf der 4. S. K (nach Nr. 327): Otto 3 Nov. J 1: Wahrheit 6,253×. J 2: Otto 4,114×. J 3: Nerrlich Nr. 98×. A: IV. Abt., IV, Nr. 277. 190,23 Kommiss.] nachtr. H 29 als Traum] nachtr. H 30f. die Dialogen] aus den Dialog [?] H 32 alle] aus die H 191,5 und2 bis schön] nachtr. H 11f. ungesehen] nachtr. H 12 schwach spie] aus vomierte H

190,24 f. In den Palingenesien (I. Abt., VII, 338—342) hatte Jean Paul ähnliche Auszüge aus Briefen gegeben wie in dem Aufsatz für das Cottaische Taschenbuch (s. zu Nr. 287). 191, 2 Friedrich Karl Forberg (1770—1848), Philosoph, Anhänger Fichtes (s. Bd. III, Nr. 434, 315,14, 317,15), war seit 1802 Archivrat in Koburg. 3–5 Der kränkliche Herzog Franz Friedrich Anton (1750—1800—1806) war in zweiter Ehe verh. mit Auguste, geb. Reichsgräfin von Reuß-Ebersdorf (s. Bd. II, Nr. 675, 359,27†); von den vier Töchtern war die dritte, Juliane (Anna Feodorowna, 1781—1860), seit 1796 mit dem Großfürsten Konstantin vermählt. 7 Kretschmann: s. Nr. 385†. 9 Gentz: vgl. 30, 7–9. 11f. Vgl. Persönl. Nr. 146.